1201 - Die Windjäger
nicht, ob sie meinen Mut bewunderte. Jedenfalls war sie sprachlos geworden. Ich lauschte. Da zeigte sich keine Veränderung. Kein Ruf, keine Stimme erreichte unsere Ohren.
Nichts war von Verfolgern oder einer Suchmannschaft zu hören. Wenn sie schon in der Nähe gewesen waren, mussten sie einen anderen Weg genommen haben.
»Sag du es, John!«
»Dann lass uns gehen.«
»Ja, das ist gut.«
Ob Carlotta so davon überzeugt war, wusste ich nicht. Sie war zumindest unsicher geworden, nachdem sie die Stimmen gehört hatte. Zu dicht war der Dunst auch nicht. Man hätte uns vom Boden her leicht in der Luft sehen und abschießen können. Das wollte keiner von uns beiden riskieren.
Es gab keinen Weg. Wir kannten nur die Richtung. Es war einfach. Nur immer bergab. Dann würden wir automatisch dort landen, wo wir hinwollten.
Unser Trip glich keinem Waldspaziergang. Wir mussten schon Augen und Ohren offen halten und auf alle möglichen Überraschungen gefasst sein. Es war auch mit Tricks der anderen Seite zu rechnen. Die Truppe der Verfolger konnte sich versteckt haben und urplötzlich aus dem Nichts hervorbrechen.
Es gab wirklich keinen Weg.
Ich kam mir vor wie ein Trapper, der sich quer durch das Gelände schlug. Oft genug versperrten uns Nadelbäume den Weg, deren Zweige wie kleine Peitschen gegen uns schlugen.
Der Wald war eine Welt für sich. Nach außen hin sah er tot aus, aber er lebte, er atmete, er spie aus. Er war ein eigenes Biotop. Es gab Geräusche in unserer Umgebung. Knistern, Rascheln, mal das Schlagen von Flügeln, wenn wir irgendwelche Vögel gestört hatten, aber Menschen entdeckten wir nicht.
Hin und wieder trat der nackte Fels zum Vorschein. Wie Buckel wuchs das Gestein aus dem Boden hervor. Manchmal mussten wir in weiche, mit Laub gefüllte Mulden hineinrutschen, um weiterzukommen.
Von unserem Ziel sahen wir so gut wie nichts. Hin und wieder, wenn es Lücken gab und wir einen freien Blick erhielten, konnten wir ins Tal schauen und sahen den umzäunten Komplex. Er kam mir noch so weit weg vor wie ein entfernter Planet.
Etwa 20 Minuten waren vergangen, als Carlotta an einem Baum stehen blieb und sich mit fahrigen Blicken umblickte.
»Was hast du?«
Ihre Hände zitterten leicht.
»Das gefällt mir alles nicht, John.«
»Wieso?«
»Ich habe das Gefühl, in einer Falle zu stecken.«
»Sorry. Aber ich sehe nichts.«
»Eben, das ist es. Sie sind raffiniert, davon kannst du ausgehen. Die haben sich schon was ausgedacht.«
»Und was könnte das sein?«
Sie zuckte mit den Schultern.
Ich wollte sie nicht kritisieren, aber ihre Vorsicht kam mir schon übertrieben vor. Es war inzwischen Zeit vergangen. Ich dachte auch an Suko, Maxine und Rosy. Von ihnen hatten wir nichts mehr gehört und gesehen. Sie über Handy anzurufen wollte ich nicht riskieren. Da sie sich bei mir ebenfalls nicht gemeldet hatten, ging ich davon aus, dass bei ihnen alles glatt verlaufen war.
Ich stieß Carlotta an. »Komm weiter.«
Sie hatte nichts mehr dagegen. Ich nahm an, dass wir die Hälfte der Strecke hinter uns gelassen hatten.
Der Rest war steiler und nicht einfacher zu gehen. Bisher war ich noch nicht gerutscht. Das änderte sich, als ich die Strecke abkürzte. Ich trat seitlich gegen einen mit Laub bedeckten Abhang und glitt dann stolpernd an ihm herab. Wenn ich mich nicht täuschte, endete er sogar an einem Pfad oder Weg.
Carlotta folgte mir. Nur rutschte sie den Hang nicht herab.
Sie hatte es einfacher und glitt durch die Luft. Mit sanften Flügelschlägen segelte sie auf mich zu, überholte mich und erreichte das Ende eher als ich.
Laub klebte an meiner Hose und auch an der Jacke, als ich mich wieder aufrichtete. Ich wollte etwas zu Carlotta sagen und hatte den Mund schon geöffnet, als mir ihr entsetzter Gesichtsausdruck auffiel.
Etwas musste hinter mir sein.
Ich drehte mich um!
Die Gestalt war genau in diesem Moment hinter einem dicken Baumstamm hervorgehuscht und griff sofort an…
***
Wie viele Sekunden uns noch blieben, wusste keiner von uns.
Es war jedenfalls Zeit genug, um das Aussehen der Gestalt deutlich wahrnehmen zu können. Das musste ein Mitglied der Schutztruppe sein, und dieser Kerl war angezogen wie ein Soldat oder wie einer von einem Sondereinsatzkommando. Er trug einen Helm, grüne Tarnkleidung und war mit einem Gewehr bewaffnet, das er während des Laufens auf uns anlegte. Es konnte durchaus sein, dass ihn unser Auftauchen überrascht und er nicht genau gewusst hatte, was er tun
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