1203 - Die Höllenfratze
von Roberta besetzt zu werden. Er stand wirklich im Zentrum, zudem fiel von der Decke her ein schon unangenehm helles Licht nach unten. Jane konnte sich nicht vorstellen, dass es Spaß machte, ruhig in diesem Licht zu sitzen und nur angestarrt zu werden.
Als Jane ihre Tasche abgestellt hatte, zog Lia die Vorhänge vor die Scheiben. »Wir wollen keine Spanner haben«, erklärte sie lächelnd und schaute zu, wie Jane ihren Block auf die Staffelei legte.
»Du willst es wirklich versuchen?«
»Ja. Deshalb bin ich hier.«
»Und nicht erst bei den anderen beiden zuschauen?«
»Das weiß ich noch nicht. Kann sein, dass ich mal einen Blick riskiere, aber sonst…«
Lia klopfte Jane auf die Schulter. »Okay, ich bin ja auch noch da, um dir Tipps zu geben.«
Errol schniefte. »Ja, Jane, sie ist eine tolle Lehrerin. Meint sie zumindest.«
»Du hast doch schon gelernt, Errol.«
»Kann man so sagen.«
»Bitte.«
Er winkte Jane heran. »Willst du mal sehen?«
»Warum nicht?« Sie stellte sich neben Errol, der Blätter seines Zeichenblocks umdrehte, so dass sie sehen konnte, was er gemalt hatte. Es sollte ein Akt sein, aber der gute Errol besaß wohl einen anderen Blickwinkel oder hielt sich für einen Künstler, der das Abstrakte liebte, denn dieser Körper hatte keine Ähnlichkeit mit Roberta. Das sah Jane, obwohl sie die Frau noch nicht nackt gesehen hatte.
»Und? Was sagst du?«
»Hm.« Sie überlegte noch. »Ich will nicht unhöflich sein, Errol, aber ist das eine Frau?«
»Für mich schon.«
»Kubistisch, wie?«
»Auch.«
»Muss dafür jemand Modell sitzen?«
Er kicherte. »Geschockt, geschockt.«
Dann zeigte er Jane ein anderes Blatt. Darauf erkannte sie tatsächlich Roberta, die auf dem Stuhl saß und mit beiden Augen auf einen imaginären Punkt blickte.
»Schon besser«, sagte sie.
Errol Fisher legte den Kopf schief. »Ich kann eben beides«, erklärte er. »Ich bin so etwas wie ein Genie. Ich habe das Malen im Blut, kannst es mir glauben.«
»Ja, das sehe ich.«
Lia klatschte in die Hände. »Bist du jetzt fertig, Errol?«
»Meine Güte, nur keine Hektik. Unsere neue Freundin wird schon früh genug zum Stift greifen. Außerdem ist Roberta noch nicht da.«
»Doch, sie wartet im Nebenraum.«
Jane hatte wieder ihren Platz eingenommen. Von hier aus konnte sie das noch leere Podest gut beobachten. Sie würde versuchen, Roberta im Halbprofil zu malen und kam sich in diesem Augenblick schon etwas deplaziert vor. Jane konnte einiges, aber das Singen und das Malen gehörten nicht zu ihren Begabungen. Aber deshalb war sie nicht hier. Es galt, einen Fall aufzuklären.
Alyson Scott hatte bisher nichts gesagt. Sie stand wie eine Träumerin vor ihrer Staffelei und schaute in irgendwelche Fernen. Im Atelier war es warm. Das lag nicht nur an den graugrün gestrichenen Heizkörpern, sondern auch am grellen Licht der Lampe. An der anderen Seite des Podestes sah Jane den Umriss einer Tür in der Wand. Sicherlich lag dahinter das Zimmer, in dem sich Roberta aufhielt.
Lia blieb vor dem Podest stehen. »Alles soweit klar?«, fragte sie.
»Bei mir immer.«
»Wie schön, Errol.«
Lia Stone öffnete die Tür einen Spalt und rief nur: »Du kannst kommen, Roberta.«
»Okay.«
Sekunden später erschien sie. Sie hatte sich bereits vorbereitet. Nackt war sie schon, doch diese Nacktheit hatte sie durch ein Gewand verdeckt. Es sah aus wie ein großes weißes Badetuch und war nur dünner.
Roberta blinzelte etwas, weil das helle Licht störte. Dann winkte sie der Detektivin zu. »Hi, Jane, freut mich, dass du gekommen bist. Echt super.«
»Du hast mich so neugierig gemacht.«
»Musste ich doch.«
Sie nickte auch den beiden anderen zu und stieg auf das Podest. Sie setzte sich auf den Stuhl und ließ erst dann den Umhang von ihrem Körper gleiten.
So ähnlich hätte auch eine Tänzerin in einem Nachtclub handeln können, den Roberta wusste schon, wie man sich in Szene setzt. Bei ihr wirkte nichts überhastet oder übereilt. Jede Bewegung sah aus wie einstudiert.
Jane Collins hatte sich noch nie als Aktmalerin betätigt, aber sie erkannte schon mit dem ersten Blick, dass Roberta genau das richtige Modell war.
Sie stellte eine Frau dar und kein dürres Gestell wie so viele der sogenannten Laufsteg-Schönheiten, die den Zuschauern als die Trendsetter überhaupt präsentiert wurden.
An Roberta war etwas dran. Sie hatte die Rundungen an den richtigen Stellen. Um ihre Brüste zu sehen, musste man nicht erst zwei Mal
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