1206 - Das Blut der schönen Frauen
Ich konnte ihn deshalb gut beobachten und sah, wie er seine Lippen für einen Moment hart zusammenpresste.
»Sagen Sie das noch mal!«, flüsterte er nach einigen Sekunden.
Er hörte zu, nickte, bedankte sich und wandte sich dann an uns. Seine Stimme klang belegt. Er hatte auch Mühe, die richtigen Worte zu finden.
»Es war der Anruf von Kollegen. Im Hafen ist eine Leiche angeschwemmt worden. Eine junge Frau.« Er räusperte sich.
»Und wenn ich die Kollegen richtig verstanden habe, sieht sie nicht nur schlimm aus, sie scheint auch blutleer zu sein…«
»Ja«, sagte ich nach einer kurzen Pause. »Das hat ja so kommen müssen…«
***
Als wir in den Hafen eingelaufen waren und das Boot verlassen hatten, eilten wir dorthin, wo starke Scheinwerfer einen Teil der Dunkelheit zerrissen und sich auf ein bestimmtes Ziel konzentrierten.
Ich hatte die Leiche noch nicht gesehen, und trotzdem stand für mich fest, dass sie etwas mit unserem »Fall« zu tun hatte, der noch nicht richtig in Fahrt gekommen war. Suko schien das Gleiche zu denken.
Auch Captain Amos Taylor hatte seinen Platz an Bord verlassen.
Er stellte keine Frage, hielt mit uns Schritt und hatte seine Mütze fest auf den Kopf gedrückt, weil er sich gegen den manchmal böigen Wind stemmte.
Um den Fund herum standen die Kollegen der River Police, die von Taylor begrüßt wurden. Man kannte sich. Wir wurden vorgestellt, murmelten Namen und reichten einigen Männern die Hände, bevor wir an das Zielobjekt herantraten.
Die Tote war mit einer Plane abgedeckt worden. Der Stoff glänzte feucht. An einigen Stellen lagen Regentropfen wie kleine Perlen auf der künstlichen Haut.
Einer der Männer bückte sich und zupfte mit spitzen Fingern die Plane zur Seite. Die Tote war nicht nackt. Je mehr ich von ihr sah, umso stärker stieg in mir die Wut hoch. Ich ballte die Hände zu Fäusten und merkte auch, wie mein Herz schneller schlug.
Ich war lange in diesem »Geschäft«. An den Anblick eines toten Menschen würde ich mich trotzdem nie gewöhnen können. Es war immer etwas Besonderes im negativen Sinne, und dieses Gefühl überkam mich auch an dieser Stelle.
Besonders stark, weil das Opfer noch verdammt jung war. Das erkannten wir trotz der Verletzungen, die sich im Gesicht abzeichneten, jedoch nicht darauf beschränkt blieben, sondern besonders stark Hals und Kehle in Mitleidenschaft gezogen hatten.
Zwar sah ich die Tote, doch meine Gedanken bewegten sich zurück in die nahe Vergangenheit. Ich dachte an die verdammte Bestie in der Luft und sah wieder dieses widerliche, mit Zähnen nahezu bewaffnete Maul vor mir. Da war es leicht, eine Verbindung zu knüpfen. Das Untier hatte sich seine Nahrung geholt, und es hatte einen jungen Menschen in den Tod gerissen.
Auch Suko hatte sich gebückt. Über die Tote hinweg schauten wir uns an.
»Vampir oder nicht?«, fragte er.
»Du meinst die Tote?«
»Wen sonst?«
»Wir werden es testen.«
»Wollte ich dir gerade vorschlagen.«
Auf eine Beschreibung der Wunde möchte ich hier verzichten.
Als wir uns wieder aufrichteten, wollte jemand die Plane über die Leiche legen, aber ich winkte ab.
»Nein, lassen Sie das noch.«
»Wie Sie wünschen, Sir.«
Ich wandte mich an Captain Taylor, der etwas abseits stand.
Suko blieb bei der Leiche zurück.
Taylor sprach mit den Leuten, die die Leiche gefunden und an Land geschafft hatten. Als ich auf sie zutrat, drehten sie die Köpfe und schauten mich erwartungsvoll an.
Ich hob die Schultern.
»Keine Erklärung, Mr. Sinclair?«, fragte Captain Taylor und lächelte etwas ironisch.
»Ja und nein. Aber ich habe eine andere Frage. Haben Sie bei der Toten Hinweise auf ihre Person gefunden?«
Der Kollege von der River Police schüttelte den Kopf. »Ich sagte schon zu Captain Taylor, dass wir nichts, gar nichts gefunden haben, auf das wir auf ihre Identität hätten schließen können. Sie konnten es ja selbst sehen, Mr. Sinclair. Die junge Frau ist nur mit einem schlichten Kleid angezogen. Für dieses Wetter noch eben ausgehfertig. Ich kann mir vorstellen, dass man sie in einem Haus getötet und später ins Wasser geworfen hat. Wie man sie allerdings umbrachte, ist verdammt hart gewesen. Da muss sich eine Bestie regelrecht ausgetobt haben.« Er schüttelte sich. »Grauenhaft.«
»Wo fanden Sie die Leiche?«
»Die Strömung trieb sie auf den Hafen zu. Das passiert hier öfter, dass etwas angeschwemmt wird. So sind die Verhältnisse nun mal. Zumeist erleben wir es, wenn
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