1207 - Ich komme aus der Hölle
verschwand und damit auch die Fratze. Sie tauchte blitzartig unter und war in ihrer eigenen Welt verschwunden.
Für uns nicht mehr sichtbar.
Es hatte keinen Sinn, wenn ich das Kreuz noch länger in der Hand hielt. Ich steckte es in die Tasche, und neben mir atmete mein Freund Suko tief durch.
»Wie schön, die Luft ist wieder rein…«
Das war sie tatsächlich. Nur noch die Reste des Gestanks umwehten uns, ansonsten konnten wir frei durchatmen. Wir hatten die Erscheinung verscheucht.
Sicherheitshalber kontrollierte ich noch mal nach. Ich hielt mein Kreuz dabei wieder offen in der Hand, als ich den Keller durchwanderte, doch eine Reaktion erlebte ich nicht.
»Was beweist das, John?«, fragte Suko, als ich meinen Kontrollgang hinter mir hatte.
»Dass es ein Fall für uns ist. Hast du das hören wollen?«
»Genau.«
Ich rieb über mein Kinn hinweg und dachte daran, wie fremd mir diese Welt letztendlich war. Okay, ich wusste, dass es diesen Internet-Sex gab und dass dies für die Betreiber ein Riesengeschäft war. Ich wusste auch, dass viele junge Frauen sich als Webcam-Girl zur Verfügung stellten, sich vor den Kameras auszogen und wer weiß was anstellten. Aber das war nicht meine Welt, und damit waren wir bisher auch nicht in Berührung gekommen. Ab heute schon, und das auf eine verdammt drastische und blutige Art und Weise.
Trotz allem würden wir die Kollegen der Mordkommission und der Spurensicherung alarmieren müssen, aber um die Auflösung mussten wir uns kümmern.
Suko beschäftigte sich mit dem gleichen Gedanken wie ich, denn er fragte: »Ist das nicht Tanners Gebiet?«
»Ich denke schon.«
»Dann sollten wir ihn auch aus seinem Büroschlaf hochschrecken.«
»Mach du das.«
Er kam meiner Bitte nach. Ich ging inzwischen zu einer Glaskabine und schaute auf einen Schreibtisch, der mit Monitoren bestückt war. Hier saß, wenn die Shows liefen, der Überwacher und auch derjenige Aufpasser, der das Finanzielle regelte. Mit ihm würden wir reden müssen.
Wer hier arbeitete, tat das nicht auf eigene Rechnung. Die Mädchen mussten eine Gebühr an den Betreiber zahlen, aber es gab auch andere, die sich zu Hause ein Studio einrichteten und auf eigene Rechnung arbeiteten. Oft waren es Studentinnen, die sich so einen üppigen Verdienst gönnten.
Ich drehte mich um und schaute mir wieder die Tote an. Sie trug so etwas wie eine Berufskleidung, und sie war um einiges älter als die normalen Mitarbeiterinnen. Deshalb vermutete ich, dass sie so etwas wie eine Chefin war.
Suko meldete mir, dass er Tanner erreicht hatte.
»Wie gut war er drauf?«
»Gar nicht, als er hörte, was hier passiert ist. Ich konnte ihn allerdings beruhigen, indem ich ihm erklärte, dass wir den Fall übernehmen werden.«
»Das wird ihn happy machen.«
»Wenn er das hier sieht, nicht.«
Ich winkte ab. »Bleib du hier unten. Ich möchte noch mit der Putzfrau sprechen.«
»Bis gleich.«
Langsam stieg ich die Treppe hoch. Hier hatten wir das erste Blut gesehen, und ich fragte mich, wie es hergekommen war.
Hatte die Frau noch kurz vor dem Ableben versucht, aus diesem Keller zu fliehen? Das konnte möglich sein. Genaues würden wir wissen, wenn das Blut untersucht worden war.
Als ich den Keller verlassen hatte, ging es mir besser. Hinter der normalen Eingangstür wartete die Putzfrau in der Diele auf mich. Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und rauchte eine Zigarette. Den Aschenbecher hatte sie auf ihre Knie gestellt.
Sie war eine Frau um die 50 mit sehr kurzen grauen Haaren. In ihrem Gesicht hatte die Angst Spuren hinterlassen. Mit flackerndem Blick schaute sie mir entgegen. Bekleidet war sie mit einer Jeans und einem schlabbrigen Pullover.
Ihren Namen kannte ich auch. Sie hieß Wilma Rositzky und wollte aufstehen, als sie mich sah.
»Nein, nein, bleiben Sie ruhig sitzen.«
»Danke, Mr. Sinclair.«
Wir hatten uns bei ihr vorgestellt. Jetzt verfolgte sie mit ihren Blicken jede meiner Bewegungen.
Da ich keinen zweiten Stuhl sah, nahm ich auf der Oberseite eines schmalen Sideboards Platz. Das war zwar nicht bequem, aber besser als nichts.
Mrs. Rositzky hatte die Zigarette ausgedrückt und den Ascher zur Seite gestellt. Sie bewegte unruhig ihre Hände und konnte die Neugierde kaum bremsen.
»Was ist denn da unten passiert?«
Ich überlegte mir die Antwort noch und schaute mich um. Der Teil des Hauses hier war desillusionierend. Hellgrau gestrichene Wände, alte Möbelstücke, ein Tisch, auf dem Zeitschriften lagen, und ein
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