1208 - In den Katakomben von Starsen
unseren Häusern wahrnehmen."
„Das kann ich mir vorstellen", sagte Salik. „Du siehst also, daß ich dir die Wahrheit gesagt habe. Vor allen Dingen: Es muß irgendwo in der Nähe eine Verbindung mit der Oberwelt geben. Und wenn du nicht so störrisch wärest..."
„Laß sie uns suchen!" drängte Wöleböl, plötzlich voller Eifer.
Jen Salik, an die abrupten Stimmungswechsel seines Weggefährten inzwischen gewöhnt, zuckte mit den Schultern.
„Richtig, laß uns", murmelte er.
Sie hatten bald Erfolg. Zur rechten Hand hin zweigte ein schmaler Gang ab, aus dem der Ammoniakgeruch besonders deutlich wahrzunehmen war. Das Gas, obwohl es nur in Spuren vorhanden war, schien das Wachstum der Schmarotzerpflanzen zu hemmen. Nur wenige von ihnen hatten sich in dem schmalen Zweiggang angesiedelt, und selbst die wenigen waren von deutlich verkümmertem Wuchs. Was Jen Salik an diesem Umstand störte, war, daß es immer finsterer wurde, je weiter sie in den Stollen vordrangen. Kaum daß die letzten Reste des grünlichen Dämmerlichts noch ausreichten, ihn die ersten Stufen der Treppe erkennen zu lassen, die am Ende des Ganges steil in die Höhe führte.
„Eine Treppe!" zischte Wöleböl voller Erregung. „Daran erkenne ich die Ningwo. Sie sind die einzigen in unserer Nähe, die Treppen bauen."
„Wir sind ziemlich weit unten", warnte Jen Salik. „Traust du dich, zwei- oder dreihundert Meter weit eine Treppe emporzusteigen?"
„Ich schaffe es!" jubelte der Meykatender. „Ich schaffe es, bestimmt!"
Sie machten sich an den Aufstieg. Wöleböl ging voran. Jen Salik hielt sich hinter ihm, für den Fall, daß den Meykatender die Schwäche überkam und er ihn stützen oder auffangen mußte. Die Stuf en waren kaum breit genug, daß der Fuß eines Menschen bequem darauf Halt fand. Dafür besaßen sie eine Höhe von dreißig Zentimetern. Die Ningwo mußten eigenartig gebaute Geschöpfe sein. Nach fünfzig Stuf en spürte Salik die Muskeln in den Oberschenkeln; nach einhundert Stufen empfand er ein Stechen in der Lunge, das er auf die zunehmende Konzentration an Ammoniak zurückführte. Wöleböl dagegen kannte keine Beschwerden. Er kletterte so rasch, daß der Terraner Mühe hatte, ihm zu folgen.
Dann aber war die Treppe plötzlich zu Ende. Sie mündete auf eine quadratische Plattform, die, wie Jen Salik sich durch Umhertasten überzeugte, auf drei Seiten von glatten, fugenlosen Steinwänden eingefaßt war.
„Wie geht es weiter?" fragte Wöleböl verdrossen.
„Ich weiß es nicht", antwortete Salik. „Irgendwo muß es eine Fortsetzung der Treppe geben, oder eine Leiter..."
„Warum ziehst du nicht das kleine Ding hervor, das uns bisher geleuchtet hat?" schlug Wöleböl vor, „Vielleicht können wir in seinem Schein etwas sehen."
„Du wirst enttäuscht sein", murmelte Jen Salik, der während des Aufstiegs mehrmals nach dem Aktivator gesehen hatte. „Ich siehe es hervor. Wie weit leuchtet dir sein Schein?"
„Überhaupt... überhaupt nicht", stotterte der Meykatender. „Wie kann das sein? Warum strahlt es nicht mehr?"
„Ich hatte damit gerechnet", sagte Salik, „Wir sind nicht mehr auf dem Weg, den uns das goldene Leuchten führen soll, Ich habe es in Kauf genommen, um dich in Sicherheit zu bringen, und daran halte Ich auch jetzt noch fest. Wir müssen..."
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Über ihnen in der Finsternis hatte es zu rascheln und zu summen begönnen. Jen Salik duckte sich unwillkürlich. Zu frisch war die Erinnerung an die hinterhältigen Dornbüsche noch in seiner Erinnerung.
Aber das Rascheln und das Summen zusammen formten Laute, und die Laute bildeten Worte, die er verstand.
„Ihr Narren!" ertönte es aus der Dunkelheit. „Richtet ihr euch schon wieder allein nach eurem störrischen Verstand und mißachtet die Zeichen, die euch von allen Seiten gegeben werden?"
Jen Salik tastete sich zurecht, bis er an einer der Wände Halt fand. Irgendwo in der Finsternis hinter ihm war die steile Treppe. Es lag ihm wenig daran, in der Aufregung einen Fehltritt zu tun und vierzig Meter weit in die Tiefe zu stürzen.
„Kerzl, bist du das?" fragte er unsicher.
„Gewiß bin ich das", brummte es von oben. „Wer sonst macht sich so viel Mühe, euch das Unverständnis auszutreiben?"
Dann wurde es hell.
4.
Es war das erstemal, daß sie Gelegenheit hatten, die Blinden Eremiten und ihre Gefangenen in Ruhe zu beobachten. Der Stollen, durch den sie dem traurigen Zug wer weiß wie viele Stunden lang
Weitere Kostenlose Bücher