1208 - Leichenwelten
euch? Hat er mit euch gesprochen?«
»Ich habe ihn gespürt. Ich habe ihn gesehen. Obwohl es sehr dunkel in dieser Nacht war. Der Bokos ist gefährlich. Er kennt den Dunklen Zauber der alten Gottheit.«
»Wen meinst du damit?«
»Den Baron Samedi.«
Ich nickte, denn ich wusste Bescheid. Er war wohl der finsterste Voodoo-Gott, den man anrufen konnte. Und er sorgte dank seiner Kraft dafür, dass die Menschen, die gestorben waren, wieder ins Leben zurückkehrten.
»Was hast du noch gesehen?«
»Nur ihn.«
»Aber du kennst seinen Namen nicht - oder?«
»Nein. Außerdem war er kein Farbiger. Er hat einfach nicht zu uns gehört.«
»War er weiß?«, fragte ich.
»So wie du.«
Ich sagte nichts. Neben mir räusperte sich Suko. Moses King saß mir gegenüber. Er schaute ziemlich betreten aus der Wäsche. Wir waren allesamt überrascht. Ich versenkte meinen Blick in Samuels Augen, weil ich irgendwie herausfinden wollte, ob er mich nun angelogen hatte oder nicht. Er hatte den unheimlichen Besucher in der Dunkelheit gesehen, und in der Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau. Da konnte man leicht einem Irrtum zum Opfer fallen.
»Ich habe noch Durst.«
Moses schnippte mit den Fingern. Als der Wirt aufblickte, bestellte er für Samuel das Gleiche.
Als das Glas vor ihm stand, grinste er wieder. Diesmal schaffte er es nicht, das Glas mit einem Schluck zu leeren, denn ich hielt ihn davon ab.
»Moment mal, mein Freund. Bevor du dich hier betrinkst, musst du uns noch ein paar Antworten geben.«
»Einen Schluck?«
»Gut.«
Er trank tatsächlich nur einen Schluck, hielt das Glas aber mit beiden Händen fest, als er es wieder zurück auf den Tisch gestellt hatte.
»Du hast ihn also gesehen«, fing ich wieder an.
»Ja.«
»Du kennst ihn nicht?«
»Nein, aber ich habe mich vor ihm gefürchtet. Er ist unheimlich. Er ist gefährlich. In ihm wohnt die Kraft des Bösen.«
»Dann beschreibe ihn!«, forderte Suko.
Samuel grinste wieder. »Bruder, das ist nicht einfach.« Sein Whiskyatem wehte über den Tisch. Dass er angeschlagen war, davon merkten wir nichts. »Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen.«
»Aber seine Gestalt.«
»Sie schon.«
»Und wie sah sie aus?«
»Groß!«, flüsterte er. »Größer als ich. Sein Gesicht sah ich nicht, aber etwas anderes.« Er hob den Kopf und verdrehte die Augen, als könnte er die weiteren Worte von der Decke ablesen. »Auf dem Kopf saß sein Hut, ja, ein großer Hut.« Er ließ das Glas los und zeichnete mit beiden Händen nach, was er meinte. »Es war ein schöner Hut, schöner als meiner. Daran habe ich ihn erkannt.«
»Wieso erkannt?«
»Man erkennt Menschen, wie sie sich bewegen und wie sie sich kleiden. Er war ein Monsieur, verstehen Sie? Jemand, der das Sagen hat. Der nicht so leicht zu stoppen ist. Der über andere herrschen kann. Ja, ein gewaltiger und mächtiger Mann.«
»Wie verhält es sich mit seinem Gesicht?«, fragte ich ihn. »Kannst du das beschreiben?«
»Nein. Ich habe es nie gesehen.«
»Ist er dir bekannt vorgekommen?«
Samuel schüttelte den Kopf. »Nein, ich kannte ihn nicht, ich konnte nur ahnen, wer er ist. Und ich habe vor ihm Furcht bekommen, obwohl er mir nicht direkt ins Gesicht schaute.«
»Hast du gesehen, wie er die Toten gestohlen hat?«
»Nein.«
»Und kam er noch mal wieder?«
Da schüttelte Samuel den Kopf. »Ich habe ihn nicht gesehen, aber er muss Joe zurückgebracht haben. Wir fanden ihn plötzlich in den frühen Morgenstunden, und er ist nicht tot gewesen. Man hat ihn wieder zurück ins Leben geholt. Das kann nur ein ganz Großer leisten.« Die Glitzeraugen wurden kugelrund. »Die Hölle hat ihn geschickt. Sie hat ihre Tore geöffnet. Sie hat den weißen Zauberer freigelassen.«
Er hatte zwar viel erzählt, aber wenig gesagt. Zumindest wussten wir, dass es sich um einen Weißen handelte, was uns aber auch nicht weiterbrachte.
Suko beugte sich Samuel entgegen. »Du hast das gerade etwas besonders betont. Dieses ›weiße‹. Hast du damit die Hautfarbe gemeint?«
»Nicht nur.«
»Interessant. Was sonst noch?«
»Die Jacke. Die Hose. Beides war sehr hell, fast schon weiß. Ich konnte es sehen.«
»Und der Hut auch?«
»Nein, er war dunkel. Er fiel auch wie ein Schatten in sein Gesicht hinein.«
Suko lehnte sich zurück. Sein Blick traf mich. »Was meinst du dazu?«
Ich musste lachen, trotz der ernsten Lage. »Dass wir nach einem ganz in Weiß gekleideten Voodoo-Zauberer Ausschau halten müssen. Frisch aus der Karibik
Weitere Kostenlose Bücher