1208 - Leichenwelten
Menschen, die sind wie Tote. Im Endeffekt sind sie es trotzdem nicht, denn ein Zauber hat sie in lebende Leichen verwandelt, in so genannte Zombies. Das ist es, worauf ich hinaus will. Sie haben keine echten Toten fotografiert, sondern Zombies und vermarkten sie hier in ihrer Schau Leichenwelten.«
Goya schwieg. Es war nicht zu erkennen, ob ihn Janes Folgerung stumm gemacht hatte oder er nur überlegte, aber er nickte ihr schließlich zu und meinte: »Sie sind nicht ohne, Jane. Ich würde sogar sagen, dass sie verdammt schlau sind. Sie haben Köpfchen, und Sie denken über Dinge nach, auf die ein normaler Besucher nicht gekommen wäre. Damit haben Sie sich demaskiert. Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Bereits ihr Interesse an dem einen bewussten Bild überstieg bereits das Maß dessen, was der normale Besucher meinen Arbeiten entgegenbringt. Deshalb gehe ich davon aus, dass Sie nur gekommen sind, um etwas herauszufinden, was Sie letztendlich auch erreicht haben.«
»Irrtum, Goya!«
»Klären Sie mich auf.«
»Es war tatsächlich nur Neugierde, die mich in Ihre Ausstellung trieb. Ich war von den Fotos wirklich angetan, das müssen Sie mir glauben. Ich war erschüttert und auch fasziniert. Es ist zudem reine Nervensache, sich die Aufnahmen anzuschauen. Davon mal abgesehen. Als ich das bewusste Bild sah, da war mir klar, dass ich die Frau kenne. Auch wenn sie sich verändert hat, ich habe sie gekannt.«
»Woher?«
»Hier aus London.«
»Stimmt. Sie lebte hier.«
»Und sie ist verschwunden. Sehr plötzlich sogar.«
Goya verengte die Augen. Mit einer Hand knetete er sein Kinn. Sein Blick nahm einen lauernden Ausdruck an. »Ich kann mir nicht helfen, aber wer in aller Welt kümmert sich schon in einer großen Stadt wie London um eine verschwundene Frau? Niemand. Es sei denn«, fuhr er mit schärferer Stimme fort, »dieser Niemand hat einen bestimmten Grund, es zu tun. Das ist natürlich etwas anderes.« Gedankenverloren kratzte er mit dem Fingernagel unter seinem Kinn entlang. »Inzwischen kann ich mir vorstellen, dass Sie einen Grund haben, Jane.«
»Nicht mehr.«
»Gehabt haben.«
»Das schon eher.«
Aristide Goya drückte seinen Körper zurück und lachte auf.
»Es wird immer interessanter, Jane. Sie machen mich neugierig. Sie haben also einen Grund gehabt.«
»So ist es.«
»Schön.« Er lächelte Jane an. »Darf ich ihn unter Umständen erfahren?«
Jane gab die Antwort nicht sofort. Sie überlegte, ob sie dem Mann wirklich die Wahrheit sagen sollte. Es hatte keinen Sinn, wenn sie versuchte, sich aus der Affäre zu ziehen. Er hatte sich ihr offenbart, und er würde sehr genau merken, wenn etwas nicht stimmte. Deshalb brauchte sie nicht zu lügen, hob die Schultern und nickte danach.
»Sie dürfen.«
»Wie schön.«
»Lassen Sie Ihren Spott. Die Sachlage ist zu ernst. Rhonda Sanders’ Mann hat mich beauftragt, seine Frau zu suchen«, erklärte Jane Collins, »so einfach ist das.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Ich bin engagiert worden, um die Frau zu finden. Leider habe ich es nicht geschafft. Mittlerweile kenne ich den Grund. Sie ist aus London verschwunden und hielt sich in der Karibik auf, wo Sie diese Person dann eingefangen haben…«
»Ach, reden Sie nicht so. Eingefangen. Das ist lächerlich, Jane. Ich brauchte sie gar nicht einzufangen. Sie hatte die Nase voll von London, von der Umgebung hier und auch von ihrem Mann, bei dem sie wie eine Gefangene im goldenen Käfig gehalten wurde. Das war für ihn vielleicht eine tolle Ehe, nicht aber für sie. Nach außen hin waren beide perfekt, doch nicht wirklich. Sie führten kein Leben. Sie waren Marionetten, die an den Fäden der Gesellschaft hingen. Und das hat Rhonda gestunken. Deshalb nahm sie sich eine Auszeit. Sie traf auf mich, da haben Sie schon Recht. Sie unterlag der Faszination der neuen Umgebung, das ist völlig normal, wenn man sich einen lang ersehnten Wunschtraum erfüllt.«
»Es lag doch wohl mehr an Ihrer Faszination oder Ihren Aktivitäten, Mr. Goya.«
»Kaum. Da kam alles zusammen.« Er lächelte. »Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich selten eine so frustrierte Frau kennen gelernt habe. Sie war wie wahnsinnig. Sie war wild und einfach nicht mehr zu halten. Das hat mir schon gefallen, wenn ich ehrlich bin.«
»Danach haben Sie Rhonda zum Zombie gemacht und fotografiert. Ist das so?«
»Perfekt, Jane. Wirklich gelungen.«
»Wie die anderen auch.«
»Nein, wo denken Sie hin? Nicht alle. Was glauben Sie denn, wer ich
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