1208 - Leichenwelten
bin?«
»Das behalte ich lieber für mich.«
Goya musste lachen. »Das glaube ich Ihnen sogar. Sie sind ein sehr rücksichtsvoller Mensch. Und Sie sind interessant, Jane, sehr interessant sogar.«
»Meinen Sie?«
»Ja, denn ich liebe starke Frauen. Ich mag keine, die sich mir an den Hals werfen. Ich möchte einen gewissen Widerstand spüren, verstehen Sie? Wenn ich dann gesiegt habe, steigt in mir das gute Gefühl hoch. Nur so kann man das Leben genießen. Rhonda lebt oder existiert weiterhin in einem Versteck im Dschungel. Sie wird sogar von gewissen Menschen verehrt wie eine Heilige. Nach meiner Rückkehr werde ich mich um sie kümmern. Aber zunächst sind Sie an der Reihe, Jane. Der Zufall oder das Schicksal hat uns zusammengeführt, und diese Chance lasse ich mir nicht entgehen.«
Seine Stimme hatte sich zu einem Flüstern gesenkt und war zischender geworden. Die Augen leuchteten in einem dunklen Glanz, der Blick war eindringlich auf Jane gerichtet, als wollte er sie allein durch den Ausdruck seiner Augen unter seine Knute zwingen.
Es war durchaus möglich, dass er über die Gabe der Hypnose verfügte, aber Jane war auch ein Mensch, der seinen eigenen Willen hatte und sich gegen den Blick stemmte.
Sekundenlang saßen sich die beiden gegenüber und maßen ihre geistigen Kräfte. Einer würde zuerst einen Rückzieher machen, und das wollte Jane Collins auf keinen Fall sein.
Sie verlor nicht. Es war Aristide, der den Blick senkte und auf seine Schuhe schaute. Er holte tief Atem, danach blickte er sie wieder an.
Diesmal jedoch normal.
Jane erlebte einen kleinen innerlichen Triumph, weil sie den ersten Ansturm überstanden hatte. Zugleich baute sich bei ihr die Frage auf, ob sie es bei diesem Mann noch mit einem Menschen zu tun hatte. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass jemand ohne diese Kopfhälfte überhaupt lebte, obwohl ihr schon das Gegenteil gezeigt worden war.
Zudem war er mit seinem Aussehen gereist, auch das begriff sie nicht.
Seine Stimme lenkte sie von ihren Gedanken ab. »Ich gratuliere Ihnen, Jane.«
»Wozu?«
»Zu Ihrer…«, er wedelte mit den Händen und lächelte, »sagen wir Standfestigkeit. Sie sind sehr stark. Es gibt so gut wie kaum einen Menschen, der bisher meiner Kraft widerstanden hat. Wenn ich ehrlich sein soll, kenne ich keinen. Aber Sie haben das fertig gebracht. Alle Achtung. Sie sind eine starke Person, und ich habe den Eindruck, dass etwas in Ihnen steckt, dass Sie so stark macht.«
»Es ist der Wille.«
Seine Antwort wurde von einem Kopfschütteln begleitet.
»Nein, ich glaube Ihnen nicht. Jeder Mensch hat einen Willen, den ich sehr leicht brechen kann. Bei Ihnen ist das etwas anderes. Es kommt noch was hinzu.«
»Wie Sie meinen.«
Goya blieb beim Thema. »Gehen Sie nicht so locker darüber hinweg, Jane. Das ist schon was Besonderes. Da kenne ich mich aus. Leider weiß ich nicht, was es ist, aber ich werde es noch herausfinden, darauf können Sie sich verlassen.«
Jane Collins ahnte, was der Künstler gespürt hatte. Sicherlich ihre letzten Hexenkräfte, die sie, ohne es genau zu wollen oder zu steuern, mobilisiert hatte. In diesem Fall waren sie ihr eine große Hilfe gewesen.
Aber sie wollte zu einem anderen Thema kommen. Dieser Mann war sicherlich nicht nur nach London gekommen, um hier die Bilder in einer Ausstellung zu zeigen. Sie vermutete, dass mehr hinter seinem Besuch steckte.
Goya hatte bemerkt, dass sie überlegte. Er fragte mit leiser Stimme:
»Worüber denken Sie nach?«
»Über Sie!«
»Danke, das ist mir klar. Aber es ist nicht alles. Wenn Sie trotzdem dabei bleiben, lügen Sie.«
»Das will ich gar nicht. Ich bin ein Mensch, der an der Wahrheit interessiert ist. Deshalb würde es mich interessieren, weshalb Sie hier nach London gekommen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen nur um die Ausstellung gegangen ist. Das glaube ich einfach nicht. Ihre Pläne sind sicherlich weitreichender.«
»Ausgezeichnet.«
»Ich dachte es mir.«
»Und Sie möchten wissen, was ich vorhabe?«
»Ja.« Jane sah nicht ein, dass sie sich versteckte. Sie war tatsächlich stark an der Wahrheit interessiert. Goya machte ihr den Eindruck, dass er sie tatsächlich herauslassen würde.
Schließlich war er auch nur ein Mensch, der sich mit bestimmten Erfolgen brüstete.
Aristide schob die Unterlippe vor. Er entspannte sich wieder und nahm eine lockere Sitzhaltung ein. »Es gibt gewisse Dinge, die soll man weltweit ansetzen. International, würde ich sagen.
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