1219 - Die Abrechnung
Gesichtsausdruck herausfinden, was sie dachte, aber die Züge blieben starr.
Suko und ich hatten uns, vom Eingang aus gesehen, die linke Bankseite ausgesucht. Sendrine Bloch kam nicht zu uns. Sie fand ihren Platz auf der anderen Seite.
»Und?«, wisperte mir Suko zu.
»Abwarten.«
»Du traust ihr noch immer nicht?«
»So ist es.«
»Aber den Kreuztest hat sie bestanden.«
Ich runzelte die Stirn. »Hat sie das wirklich? Sie staunte über die Schönheit des Kreuzes, aber sie hat es nicht an sich nehmen wollen. Das ist schon komisch.«
»Sieh es locker, John. Nicht alle sind so begeistert.«
»Wir werden sehen.«
Beide hielten wir den Mund, denn es war Godwins Aufgabe, die letzten Worte über den Toten zu sprechen. Er stellte sich hinter den Sarg. Sicherlich hatte er sich seine Rede zurechtgelegt, doch jetzt, wo er vor der ersten Aufgabe als neuer Templer-Führer stand, fehlten ihm einfach die Worte.
Jeder der Anwesenden sah, wie er einen innerlichen Kampf ausfocht. Er bewegte seine Hände, die mal gestreckt waren und sich dann wieder zu Fäusten schlossen. Um die Mundwinkel herum zuckte es. Er kämpfte mit den Tränen, er schüttelte den Kopf, straffte seinen Körper und versuchte immer wieder, sich zusammenzureißen.
Jeder verstand ihn. Da kann man sich noch so gut auf etwas vorbereiten, aber wenn es dann soweit ist, steht man da und ist einfach sprachlos.
Ich konnte ihm nicht helfen. Mir selbst saß ein Kloß im Hals.
Auch meine Hände hatten sich zu Fäusten geballt, auf meinem Gesicht lag Schweiß.
»Liebe Freunde«, begann Godwin de Salier schließlich. »Ich weiß, wie schwer es für uns alle ist, die wir uns hier versammelt haben, um einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, der durch eine brutale Tat aus dem Leben gerissen wurde. Dass der Mörder noch frei herumläuft und dass er sich uns als weitere Opfer ausgesucht hat, darf uns nicht davon abhalten, das zu tun, was getan werden muss. Wir werden dem Abbé ein Begräbnis geben, das er verdient hat. Wir werden seine Hülle in die Klostererde versenken, und sein Grab wird uns immer daran erinnern, dass wir in seinem Sinne weiter gegen das Böse kämpfen müssen. Ich habe vor seinem Tod noch lange mit ihm gesprochen. Ich weiß deshalb, dass es für uns eine Pflicht ist, nicht aufzugeben, und wir werden uns dieser Pflicht stellen.«
Es waren gute und treffende Worte, die Godwin de Salier fand. Jeder hörte zu. Keiner bewegte sich. Wie Statuen wirkten die Templer in ihren hellen Gewändern mit den roten Kreuzen auf dem Rücken.
Die Szene wirkte wie eingefroren, weil sich keiner bewegte.
Wirklich keiner?
Doch es gab jemanden, der sich bewegte. Ich bekam es aus dem rechten Augenwinkel mit.
In der Bankreihe an der anderen Seite stand als einzige Person Sendrine Bloch. Sie hatte sich gebückt. Im ersten Auge nblick dachte ich, dass sie sich hinsetzen wollte, weil sie weiche Knie bekommen hatte, denn nicht für jeden ist eine Trauerfeier geschaffen.
Sie setzte sich nicht hin. Sie kam wieder hoch. Ich sah, dass sie etwas schwankte, zumindest glaubte ich das, doch es war nur eine Bewegung nach links, die sie durchführte, denn nur so konnte sie mit einem Schritt die Bank verlassen.
Was sie auch tat.
Lautlos betrat sie den Steinboden. Sendrine schaute nicht mehr zu den Templern hin, und sie wich auch meinem Blick aus. Ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck angenommen.
Er war schlecht zu beschreiben. Jedenfalls stand dort die Starre wie eingemeißelt.
Ich wollte sie noch fragen, aber sie hatte es plötzlich sehr eilig. Mit einer schnellen Bewegung drehte sich Sendrine Bloch um. Dann lief sie auf den Ausgang zu. Sie bemühte sich nicht mehr, leise zu sein. Die Echos ihrer Schritte mischten sich in die Worte des Godwin de Salier, der nur kurz stockte und dann weitersprach.
»Was hat sie?«, fragte Suko.
»Keine Ahnung.«
»Das sah mir schon nach einer Flucht aus.«
»Ja, aber…«
Ich wusste auch nicht so recht, was ich sagen sollte. Es konnte sein, dass diese Totenfeier sie zu stark mitgenommen hatte, aber das wollte mir auch nicht in den Sinn. Da musste es schon einen anderen Grund für ihre Flucht gegeben haben.
Sie lief schnell. Die Echos der Schritte waren bald verklungen. Ich warf wie zufällig einen Blick auf den Platz, an dem sie gesessen hatte, und bekam für einen Moment große Augen.
Sendrine Bloch hatte ihre Handtasche vergessen. Sie stand auf der Bank und kam mir vor, als wäre sie bewusst dort hingestellt worden.
Ich wusste
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