1220 - Gefangen im Hexenloch
mundete.
»Phantastisch«, sagte ich zwischen zwei Bissen.
»Das freut mich.«
Ich sah ihr an, dass ihr Fragen auf der Zunge brannten. Wer so einsam lebte, der freute sich immer über eine Abwechslung, aber sie ließ mich erst den Schinken und das Brot essen, bevor sie eine Frage stellte. »Noch etwas?«
»Nein, auf keinen Fall. Frau Scheufele. Es war genau die richtige Portion.«
»Und jetzt noch ein Kirschwasser.«
»Lieber nicht. Ich muss noch fahren.«
Sie stellte alles wieder auf das Tablett, ließ es aber auf dem Tisch stehen und fragte: »Sind Sie zum ersten Mal hier bei uns im Schwarzwald?«
»O nein, ich war schon öfter hier. Allerdings in anderen Gegenden.«
»Gefällt es Ihnen?«
»Es ist überall schön. Der liebe Gott hat wirklich einen guten Griff getan, als er den Schwarzwald erschuf.«
»Ja, ja«, sagte sie nachdenklich, und ihre Wangen röteten sich dabei noch mehr. »Das sagen viele. Wir haben ja unzählige Besucher, und die meisten kommen immer wieder. Aber nicht so zu uns. Wir liegen doch recht einsam. Uns muss man kennen.«
»Dann leben Sie hier nicht allein?«
»Nein. Zusammen mit meinem Mann. Hin und wieder auch mit den beiden Enkeln. Mein Mann ist drei Mal in der Woche unterwegs. Er ist ein guter Uhrmacher und wird noch immer geholt, wenn die Reparaturen sehr kompliziert sind.«
»Hat er auch mit dem Uhrenmuseum in Furtwangen zu tun?«
Frau Scheufeles Augen leuchteten, so sehr freute sie sich.
»Sie kennen das Museum?«
»Nein, das nicht. Ich habe auf der Fahrt hierher nur die Hinweisschilder gesehen.«
»Ja, die sind ja nicht zu übersehen.« Sie trank einen kräftigen Schluck Apfelsaft. »Ich will ja nicht neugierig sein«, sagte sie dann, »aber haben Sie sich verfahren?«
»Nein, das nicht.«
»Dann sind Sie bewusst hier ins Hexenloch gefahren?«
»Genau das.«
Geschluckt hatte Erika Scheufele es, aber längst nicht verdaut. Ich sah es an ihrem Blick und auch, wie sie den Kopf schüttelte. »Aber was wollen Sie hier? Die Mühle ist zu. Der Besitzer ging zunächst mal in Urlaub. Die zahlreichen Besucher blieben aus und…«
»Ich dachte nur, dass ich mir das Hexenloch mal anschaue. Allein der Name hört sich toll an.«
»Das mag sein…« Sie sagte nichts mehr, sondern senkte den Kopf und schaute zur Seite.
Ich ahnte, dass ich auf der richtigen Spur war, fragte aber trotzdem: »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, das nicht, Herr Sinclair, entschuldigen Sie, wenn es sich so angehört hat.«
»Natürlich. Aber etwas ist doch mit diesem Hexenloch, kann ich mir vorstellen. Allein dieser Name ist schon Programm.«
»Kann sein.«
Ich fragte jetzt direkt: »Spukt es dort?«
Frau Scheufele schrak zusammen. Für einen Moment war sie durcheinander. »Wie… wie… kommen Sie darauf?«
»Nur so.«
»Oder wissen Sie mehr?«
»Was sollte ich denn wissen?«
»Dort geht es wirklich nicht mit rechten Dingen zu«, erklärte sie und senkte ihre Stimme. »Der Besitzer der Mühle ist nicht grundlos geflohen. Man spricht davon, dass die alte Hexe wieder zurückgekehrt ist. Obwohl sie längst tot sein müsste.«
»Die alte Hexe«, wiederholte ich. »Interessant, wirklich.«
Frau Scheufele hob den rechten Zeigefinger. »Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter, Herr Sinclair. Tun Sie das nicht. Es gibt manchmal Dinge, die wir Menschen uns nicht mal im Traum vorstellen können.«
»Wie die Hexe.«
»Genau.«
»Wie heißt sie denn?«
»Elvira.« Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, als sich ihre Augen weiteten und sie beide Handflächen gegen ihre Wangen schlug. Sie schaute mich an, als wollte sie alles wieder zurücknehmen.
»Sie sind gut informiert.«
»Das sind die meisten hier. Ich komme schließlich aus dieser Gegend.«
»Und Sie haben auch Angst vor der Hexe?«
»Sie werden lachen, aber die habe ich. Die hat jeder. Keiner will sie jemals zu Gesicht bekommen. Sie ist ein schreckliches Weib und dabei sehr gefährlich.«
»Was hat sie denn so Schlimmes getan?«
»Sie entführte Menschen und hat sie gefressen.«
Ihr war es sehr Ernst, doch meine Mundwinkel zuckten schon. »Kann es nicht sein, dass Sie diese Geschichte mit einem Märchen verwechseln? Hänsel und Gretel…«
»Glauben Sie mir, ich weiß es besser.«
»Ich sage ja auch nichts. Nur ist diese Elvira sicherlich lange tot.«
»Das ist sie«, wurde mir bestätigt. »Aber sie ist wieder da. Zurückgekommen. Ich glaube, dass Hexen gar nicht sterben können. Die leben irgendwie ewig.«
»Sie
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