1224 - Rückkehr in den Frostrubin
ertragen konnte, und ich sage: Hütet euch vor jedem Planeten, auf dem Utopia verwirklicht worden ist. Ein richtiger Terraner braucht Abenteuer, Gefahren und Schicksalsschläge; erst dann blüht er auf. Alles andere führt geradewegs in die Dekadenz."
„Darf ich davon ausgehen, daß du dich als richtigen Terraner betrachtest, Krohn Meysenhart?"
„Das mußt du sogar", erwiderte der Nachrichtenmann. „Denn der Unterschied zwischen einem Terraner und einem richtigen Terraner ist der, daß der erste mit seinem fetten Hintern auf der Erde sitzen bleibt, während der zweite sich kopfüber in alle Abenteuer stürzt, die die Sterne für die Wagemutigen bereithalten."
„Demnach wirfst du den Terranern ihre Erdverbundenheit vor?" fragte NATHAN.
„Nicht ihre Erdverbundenheit, sondern ihre Trägheit." Meysenhart folgte seinen Robotern durch einen breiten, hohen Gang und betrat ein Laufband aus Formenergie. Fünfzig Meter vor ihm bewegten sich Tifflor und Deighton mit hoher Geschwindigkeit auf einen gewaltigen Torbogen zu, hinter dem ein Verkehrsknotenpunkt mit Transmitternischen, Antigravschächten, Pneumokapseln und anderen Transportmitteln lag. Auch dort wimmelte es von Robotern und Bewaffneten. NATHAN rechnete offenbar mit weiteren Anschlägen versprengter Elemente.
„Ihre Trägheit", wiederholte Meysenhart. „Sie ist eine direkte Folge des perfekt durchgeplanten, sozusagen stromlinienförmigen terranischen Lebens, des programmierten Utopias, dessen erstes Gesetz Glück für alle lautet."
„Was gibt es gegen Glück einzuwenden?" fragte NATHAN über den Vocoder des Kampfroboters.
„Ich will dir eine Geschichte erzählen", antwortete Meysenhart. „Als ich sechs Jahre alt wurde, kam der Tag, an dem ich mit gläubigen Kinderaugen in das große Abenteuer des Lebens hineinstolpern sollte. Meine Eltern brachten mich zum örtlichen Lebensberatungsdienst. Nach einer Reihe psychologischer Tests, einer komplizierten psychometrischen Vermessung, einem tiefenanalytischen Entwicklungsszenario, soziologischen Bedarfshochrechnungen und diversen anderen magischen Ritualen gelangte der Lebensberatungsdienst zu der Überzeugung, daß ich in meinem Leben nur Erfüllung als Astronom oder Xenolinguist finden würde." Er schnaubte, „Ich sagte, ich wollte Nachrichtenmann werden. Ich wollte schon immer Nachrichtenmann werden. Meine Eltern und die Psychoberater traf fast der Schlag. Aber menschenfreundlich, wie der Lebensberatungsdienst eben ist, erstellte man für mich ein Fünfzig-Jahres-Szenario als Nachfichtenmann."
„Und?" fragte NATHAN.
„Es war ein einziges Desaster", erklärte Meysenhart „Ich will jetzt nicht ins Detail gehen - aber das Szenario prophezeite mir Heulen, Zähneknirschen und haufenweise Unglück, sollte ich die Laufbahn eines Nachrichtenmanns einschlagen."
„Und?" sagte NATHAN wieder.
„Und! Und!" äffte Meysenhart nach. „Ich habe Terra verlassen und bin Nachrichtenmann geworden. Ich bin nicht glücklich, aber halbwegs zufrieden."
„Aber vielleicht", wandte das Mondgehirn ein, „wärest du als Astronom tatsächlich glücklich geworden ..."
„Eben." Der Interstar-Kommunikationsspezialist schnitt eine Grimasse. „Das ist ja das Problem. Hätte ich im zarten Alter von sechs Jahren die Empfehlung des Lebensberatungsdienst befolgt, hätte ich ein Leben voller Glück, Zufriedenheit und Schlagsahne vor mir gehabt. Ich hätte gewußt, daß ich glücklich werden würde. Verstehst du, NATHAN? Das Leben wäre für mich vorgezeichnet gewesen - positronisch berechnet, gesetzlich garantiert, jederzeit vor Gericht einklagbar. Und das, NATHAN, wäre die Hölle gewesen."
„Deine Argumente sind ein wenig widersprüchlich", kritisierte die lunare Hyperinpotronik.
„Sicher", nickte Meysenhart. „Aber das ist genau das, was uns Menschen von euch Computern unterscheidet."
NATHAN schwieg.
Meysenhart folgte seinen beiden Begleitrobotern in einen Antigravschacht und beträt zwanzig Stockwerke tiefer einen Komplex, der durch massive Ynkonitschotts, energetische Sperrfelder und automatische Abwehrsysteme geschützt wurde. Auch hier Dutzende von TARA-III-Uh-Robotern und bewaffnete Lunawächter in SERUNS.
Meysenhart machte ein paar kurze Filmaufnahmen, fing mit den Richtmikrofonen der Kom-Montur einige Gesprächsfetzen der Wächter auf, um die geplante Reportage mit realistischem Tonmaterial zu untermalen, und gelangte schließlich in den Konferenzraum.
„Krohn, Krohn!" schrillte Wonnejunge. „Da bist du ja
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