1225 - Die Reliquie
doch jetzt war sie leider abgerissen, und so hatten wir zunächst das Nachsehen.
»Hast du die Knochen gesehen?«
»Nein, noch nicht.«
Suko lächelte. »Dann werden wir wohl beide davon überrascht werden. Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, welches Ergebnis die erste Untersuchung bringen könnte?«
»Habe ich nicht. Ich hoffe allerdings, dass sie bald beendet sein wird. Außerdem interessiert mich eine Analyse des Blutes. Es ist ja nicht normal, dass es bei der Berührung mit meinem Kreuz verdampft.«
Suko klopfte locker auf den Tisch. »Vergiss nicht, dass van Akkeren, Dracula II und Justine Cavallo zusammenarbeiten. Da sind Begriffe wie ›Blut‹ und ›Vampir‹ nicht fern.«
»Eric Tallier war kein Vampir. Da hätte er sich ganz anders verhalten.«
»War auch nur ein Gedanke.«
Ich schaute auf die Tischplatte. »Ärger, nichts als Ärger«, murmelte ich. »Obwohl er uns nicht gegenübersteht, hält uns van Akkeren in Atem. Mit seinem großen Plan, was immer es auch sein mag. Ich fange schon jetzt an, ihn zu hassen.«
»Frag mich mal.«
»Eric Tallier stammte nicht aus London«, sagte ich.
»Woher?«
Ich hob die Schultern. »Aus irgendeinem Kaff im Norden. Aber ich weiß nicht, wo es liegt.«
»Müssen wir dort hin?«
Ich verdrehte die Augen. »Wenn alle Stricke reißen, ja. Irgendwoher muss er die Knochen ja gehabt haben. Außerdem bin ich gespannt, was die erste Untersuchung ergibt.«
»Wichtig ist, dass man auch ihr Alter bestimmen kann.«
»Klar, Suko, das ist den Experten hier möglich. Und irgendwie setze ich darauf.«
Wir hatten bisher recht lange gewartet, aber die Wartezeit hatte ein Ende. Ein Mann mit Bierbauch und einer spiegelblanken Glatze erschien in der Kantine, schaute sich kurz um, bevor er an unseren Tisch trat. Er stellte sich auch namentlich vor, aber ich vergaß den Namen sofort. Wichtig war nur, dass er uns zu Dr. Miller bringen wollte. So hieß der Mann, der die Knochen untersucht hatte.
»Wunderbar«, sagte ich und stand zugleich mit Suko auf.
»Gutes oder schlechtes Gefühl?«, fragte mich mein Freund.
»Gar keines.«
»Das klingt schlecht. Dann ist es eher mies, davon gehe ich mal locker aus.«
»Du sagst es, Alter.«
***
Dr. Miller sah interessanter aus als sich sein Name anhörte.
Er war hoch gewachsen, trug trotz des schmalen Gesichts eine Brille mit dickem Gestell und auf seinem Kopf wuchsen die Haare in einem nach oben stehenden Wirbel, den wohl auch keine Bürste bändigen konnte. Sein Lächeln war jungenhaft frisch, und mir fiel auf, dass ich selten einen Menschen mit so langen und schmalen Fingern gesehen hatte. Da konnte ich mir richtig vorstellen, wie er die Beweisstücke behutsam angehoben und gedreht hatte.
Jetzt jedenfalls lagen die drei Knochen als makabre Fundstücke auf seinem Schreibtisch, der in der Ecke des Laborraums stand.
»Ja«, sagte er, nachdem wir uns kurz vorgestellt hatten. »Es ist mir gelungen, eine erste Analyse zu erstellen, und ich muss Ihnen sagen, dass die Fundstücke schon sehr interessant sind.«
Während des Sprechens schwebte sein langer rechter Zeigefinger immer wieder von links nach rechts über die nebeneinander liegenden Knochen hinweg.
»Inwiefern sind sie interessant?«, fragte Suko.
»Zunächst mal ihr Alter.« Dr. Miller lachte und schob seine Brille nach oben. »Nicht so alt wie der berühmte Ötzi, aber sie haben schon ihre Jahre auf dem Buckel, will ich mal sagen.« Er suchte jetzt unseren Blick. »Zweihundert und mehr.«
»Da sind Sie sicher?«
»Ich schwöre.«
»Das ist nicht nötig«, sagte ich und schaute mir die bleichen Fundstücke genauer an. Sie wirkten wie aus der Waschmaschine geholt. Es waren zwei Knochen dabei, die zu den Armen zählten und einer gehörte ins Bein. Er war länger und auch dicker. Alle drei Knochen wirkten, als wären sie abgenagt und später noch gereinigt worden.
Mir brannte eine wichtige Frage auf der Zunge, und ich stellte sie. »Gehören die Knochen einem Mann oder einer Frau?«
»Sie werden lachen, MR. Sinclair, aber sie gehören eindeutig zu einer Frau.«
Hoppla, das war eine Überraschung.
Ich hörte, wie Suko tief Luft holte.
»Überrascht, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen«, gab ich zu.
»Ja, ja«, meinte der gute Doktor Miller. »Auch unter den Knochen ist die Emanzipation weit verbreitet.«
Ich hielt nur mühsam das Lachen zurück. Es war auch zu komisch, wie er das rausbrachte.
»Haben Sie sonst noch etwas herausgefunden, was für uns
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