1226 - Das Versteck
Stimme. Erst als der Typ mich anschaute, sprach ich weiter. »Sehen Sie mal, Mister, da wird jemand zu Grabe getragen. Ein Mensch, dessen Seele sicherlich den großen Frieden gefunden hat, und Sie wollen hier eine Auseinandersetzung provozieren? Denken Sie nicht an den Toten?«
»Es ist egal. Es ist unser Recht, diesen Weg zu gehen. Sie halten ihn versperrt.«
»Nein, nicht ganz. Sie können ja vorbei.« Beinahe hätte ich laut gelacht. Es war fast unmöglich, dass wir uns wegen eines solchen Mists stritten.
»Ihr habt hier nichts zu suchen«, wurde uns erklärt.
»Das wissen wir. Es ist auch kein Problem. Wir sind in einer Minute verschwunden. Seien Sie doch nicht so stur. Das Leben ist zu kurz, Mister.« Ich deutete auf den Sarg. »Sie sehen doch. Da ist jemand gestorben, der sicherlich noch gern gelebt hätte. Kann ich mir jedenfalls vorstellen.«
»Das geht euch nichts an.«
»Ist auch richtig. Aber wir haben nun mal das Pech, eine Abkürzung genommen zu haben. Wir wollen nach Aberdeen und haben noch einige Meilen vor uns. In der Stadt steigen wir in ein Flugzeug, dann ist Schottland uns los.«
Der Typ wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Die anderen warteten schweigend im Hintergrund.
Der Mann räusperte sich. Er drehte sich mit einer scharfen Bewegung um, gab den anderen drei Männern ein Zeichen und erklärte ihnen, was sie zu tun hatten. Der Sarg sollte über die Köpfe gehoben werden. Hintereinander mussten sie gehen und uns so passieren. Das war wirklich kein Problem für sie.
Suko und ich schauten zu. Wir betrachteten auch die Totenkiste, und zumindest ich war der Meinung, dass es sich hier weniger um einen Sarg handelte als um einen sehr primitiv zusammengenagelten Aufenthaltsort eines Toten, der so schnell wie möglich weggeschafft werden sollte. Die Bretter lagen nicht mal dicht an dicht. Es gab zwischen ihnen noch fast fingerbreite Lücken, als sollte die Leiche genügend Luft bekommen, was natürlich Unsinn war.
Suko hatte seine rechte Zeigefingerspitze gegen das Kinn gedrückt. »Irgendwas ist hier faul«, murmelte er.
»Sehr richtig. Oder sagen wir so. Eine normale Beerdigung erleben wir nicht.«
»Ist auch kein normaler Ort.«
»Selbst für ein Kaff wie dieses ist das ungewöhnlich.«
»Außerdem«, sagte Suko leise, »haben wir auf der Herfahrt keinen Friedhof gesehen. Das hier kommt mir alles nicht echt vor. Es wirkt wie gestellt. Als hätte man uns mitten in ein Theaterstück platziert, das aber keine Komödie ist, sondern mehr ein Drama.«
Ich hatte mir die anderen Menschen angeschaut.
Und wieder fiel mir ihr apathisches Verhalten auf. Okay, niemand ist fröhlich, wenn er zu einer Beerdigung geht. Diese Leute wirkten zwar deprimiert, aber zugleich, als hätten sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden und wären erleichtert.
Es schaute uns auch niemand an.
Die Menschen standen da wie Puppen, denen man die Köpfe nach unten gedrückt hatte.
Die vier Sargträger bückten sich. Sie hoben die Totenkiste an, aber sie ließen die schmalen Griffe los und hievten den Sarg in die Höhe, um ihn dann über ihre Köpfe zu stemmen und so weiterzutragen.
Da sie auf unseren Vorschlag eingegangen waren, hätte ich eigentlich beruhigt sein können. Ich war es jedoch nicht.
Weiterhin hatte ich das Gefühl, dass wir dicht vor etwas Unbekanntem standen, das uns beruflich interessieren musste.
Auch Suko zog ein Gesicht, als wäre er unzufrieden mit allem, was wir erlebten.
Ein kurzer Befehl noch, dann reckten die Männer den Sarg endgültig über die Köpfe.
Und da passierte es.
Ein Schrei!
Laut, aber trotzdem gedämpft, was auch seinen Grund hatte.
Denn der Schrei war aus dem Sarg gedrungen…
***
Also doch!
Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf. Zugleich bekam ich eine Gänsehaut.
Ich brachte kein Wort hervor. Damit stand ich nicht allein.
Auch die Sargträger und Trauergäste verhielten sich still. Sie waren in ihrem Schrecken erstarrt.
Den Schrei hatte sich keiner von uns eingebildet. Und er stammte auch nicht von einer Person außerhalb der Totenkiste.
Seine Quelle lag im Innern des primitiven Sargs, was wohl jeder der Anwesenden wusste.
Sie wollten eine lebendige Person begraben! Das war nicht zu fassen.
Es hätte kein Mann begraben werden sollen, sondern eine weibliche Person. Der Schrei war von einer Frau abgegeben worden, daran gab es nichts zu rütteln.
Jeder wartete wohl auf den nächsten, der allerdings nicht folgte. Dafür hörten wir, zumindest die, die in
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