1226 - Das Versteck
gleich von dort erscheinen würde.
Trotz des Gestanks ließ sich die Luft noch atmen, da von oben her genügend Frische in den Schacht drang. Hin und wieder verdrehte Jenny die Augen, um mit ihrem Blick den Rand dort zu streifen, aber es erschienen keine Gesichter, die nach unten schauten. Eigentlich blieb alles sehr still. Nur manchmal glaubte sie, ein Rascheln zu hören, das entsteht, wenn der Wind mit den Blättern spielt.
Suko arbeitete unermüdlich an seiner Befreiung. Für ihn stand fest, dass ihnen nicht viel Zeit blieb. Wer immer hier unten sein Revier hatte, er würde sie längst gerochen, gesehen oder gespürt haben. Er war darauf geeicht, Beute zu bekommen und sie bis auf die Knochen zu vertilgen.
Suko hatte schon einen kleinen Erfolg erreicht. Er konnte seine Hände besser bewegen und hoffte, sie auch zu befreien.
Damit war erst eine kleine Strecke geschafft. Dann hätte er sich wehren können, aber es wäre ihm lieber gewesen, die Beretta noch bei sich zu haben, aber genau die war ihm abgenommen worden.
Allerdings hatte man seine Dämonenpeitsche übersehen.
Plummer kannte sie nicht. Er konnte nichts mit ihr anfangen, deshalb hatte er sie auch nicht für wichtig gehalten, aber sie war für Suko eine wertvolle Waffe, die auch für einen Ghoul tödlich sein konnte.
Er zerrte, er drehte die Hände, er versuchte, Lücken zu scha ffen, um seine Hände durch diese Schlaufen hindurchziehen zu können. Suko schaffte es auch, die Finger besser zu bewegen, weil die Fesseln jetzt lockerer saßen. Er konnte sie jetzt sogar in Richtung auf die Handgelenke drehen und versuchte so, diejenigen Knoten zu erreichen, die nicht besonders kunstvoll geknüpft worden waren. Die Stricke waren einfach nur doppelt verknotet worden, das hatte reichen müssen.
Bisher war das auch der Fall, denn Suko bekam seine Hände einfach nicht frei, auch wenn er sich inzwischen schon mehr Luft verschafft hatte.
Es strengte an, so an den Fesseln zu arbeiten. Sukos Atem hatte sich verändert. Er floss jetzt schärfer und zischender aus seinem Mund, und er vereinigte sich mit dem Atem, den auch Jenny Orwell ausstieß, denn sie wollte ihr Schicksal ebenfalls nicht hinnehmen und arbeitete an ihren Fesseln.
Sie war keine Fachfrau und wusste auch nicht, ob sie eine besondere Methode anwenden musste, um die Stricke zu lösen, aber sie glaubte, dass sich die andere Seite bei ihr nicht die große Mühe gegeben hatte, wie es vielleicht bei Suko der Fall gewesen war, denn sie merkte, dass sich die Stricke lockerten.
Wie sie das geschafft hatte, war ihr unklar. Als es soweit war, hielt sie für einen Moment inne, weil sie es kaum glauben wollte. Sie schaute Suko zu, der auf der Seite lag, sich weiterhin bemühte und sie mit keinem Blick bedachte, obwohl er ihr zugewandt lag.
Jenny wollte ihn auch nicht stören. Nach dem ersten guten Gefühl war das Blut in ihren Kopf geschossen und hatte zu einem positiven Schweißausbruch geführt, der ihr zusätzlich einen gewissen Push gab, um weiterzumachen.
Sie arbeitete daran. Sie kämpfte. Sie drehte ihre Hände. Sie bewegte die Finger. Sie spürte das Blut und war froh darüber, dass die Hände nicht abgestorben waren. Sogar die Handgele nke konnte sie innerhalb der Fesseln drehen, und wenn sie so weitermachte und die Finger dicht zusammenpresste, dann konnte es ihr wahrscheinlich gelingen, die Hände aus den Schlaufen zu ziehen.
Das musste doch möglich sein!
Jenny arbeitete weiter. Sie strengte sich an, und sie schwitzte dabei. Es war ihr egal. Auch der Herzschlag hatte sich beschleunigt, und immer wieder durchlief ein Zittern ihre Gestalt.
Ihre Augen waren groß, der Mund verzerrt, und eine innere Stimme peitschte jedes Mal den gleichen Satz in ihr hoch.
Ich schaffe es! Ich schaffe es! Ich schaffe es!
Ja, sie lockerte die Stricke. Sie gratulierte sich dazu, dass ihre Hände schlank waren und durch den Schweiß auch glatter geworden waren. Da musste es besser klappen.
Plötzlich erwischte sie der Geruch, und sie hörte mitten in den Bewegungen auf.
Es war ein übler Gestank, der ihr da entgegendrang. Allerdings nicht von oben, sondern unter der Erde her, wo die finstere Öffnung in den Stollen hineinführte.
Wer immer dort in seinem Versteck hauste, er hatte es geschafft, den Weg zu finden. Er wusste, wo sich die Opfer befanden und war schon verdammt nahe herangekommen.
Auch Suko hatte den Geruch wahrgenommen und bewegte sich jetzt nicht mehr.
»Er kommt, nicht?«, flüsterte Jenny.
»Ja,
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