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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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konnte. »Was das ist?«, wiederholte er um die Spannung zu steigern. »Das ist…«, er senkte seine Stimme zu einem kaum noch wahrnehmbaren Flüstern, »… ein Zahn unserer Heiligen Jungfrau Maria.«
    »Heiliger Strohsack!«, rief der Mönch. »Wie… woher…?«
    »Woher ich den habe?«, half ihm Nelson. »Nun, das ist eine lange Geschichte.«
    Und dann erzählte er seinem staunenden Mitbruder ein Märchen, das er bis zu diesem Augenblick selbst nicht gekannt hatte, welches jetzt jedoch nur so aus ihm heraussprudelte, als hätte die Quelle der Wahrheit schon ewige Zeiten tief in seinem Innern geschlummert. In dem Märchen vermischten sich Sagen aus der Urzeit des Christentums mit ureigenen Erlebnissen; historische Gestalten trafen darin auf Menschen der Neuzeit, wie etwa jenen Zahnarzt, der Nelson vor wenigen Monaten erst die größten Schmerzen zugefügt hatte und unter dem in seiner Erzählung nun auch die greise Mutter Gottes leiden musste, bis sie ihr Schicksal endlich selbst in die Hand nahm und die schwindende Kraft ihres hinfälligen Esels bemühte, um sich dieses Übels samt seiner Wurzel zu entledigen; Maria Magdalena war es schließlich, die den Zahn nach dem Tod der Heiligen Jungfrau hütete. Nach ihrem eigenen Ableben ging er auf eine lange Reise, von Hand zu Hand und von Land zu Land, bis ihn schließlich eine uralte Zaunreiterin stahl, die jedoch nur kurze Zeit Freude daran hatte und sich eines Tages schlechten Gewissens dazu entschloss, ihn jenem Mönchlein anzuvertrauen, das als Nächstes an ihre Türe klopfen würde, und das, nun, das sei eben er gewesen, Bruder Edward von Dartmoor, der letzte Hüter des heiligen Zahns.
    »Heiliger Strohsack!«, stöhnte Tadeus immer wieder. »Heiliger Strohsack!«
    Nelson nickte dazu bedeutungsvoll, während sich Luk in den Arm kniff um nicht doch noch laut loszuprusten.
    »Nun, Bruder Tadeus, du hast mir noch gar nicht verraten, wer deiner geschätzten Meinung nach das Turnier für sich entscheiden wird«, sagte Nelson und ließ den Zahn in seinem Beutel verschwinden.
    Der dicke Mönch sah ihm schmachtend hinterher. Dann hob er den Blick und blinzelte Nelson aus seinen kleinen Augen herausfordernd an. »Ich glaube«, sagte er leise, »dass Sir Brian am Ende obsiegt.« Er machte eine Pause um die Wirkung seiner Worte zu prüfen. »Er hat weit über zweihundert Turniere gewonnen, wie man sich erzählt. Und ihr habt gesehen, wie er kämpft. Etwas unorthodox, aber sehr effektiv.«
    »Etwas unorthodox?«, ereiferte sich Nelson. »Er kämpft total unfair! Er ist ein… ein… Killer!«
    Tadeus blickte ihn verständnislos an. »Was ist das, ein Killer?«
    »Einer, der über Leichen geht«, schäumte Nelson.
    »Aber, aber«, brummte der Dicke. »Du solltest die Kirche im Dorf lassen.«
    Um sie herum hatten sich die Ränge inzwischen geleert. Nelson erhob sich. »Der blaue Reiter wird deinem Glücksritter eine Lektion erteilen«, sagte er ruhig und ließ Tadeus stehen. Seine Worte klangen wie eine Beschwörung.
    Die meisten Zuschauer hatten sich zum Burghof begeben, wo ein lärmendes Treiben herrschte. An vielen Ecken spielten Musiker auf, Gaukler unterhielten die Menge mit akrobatischen Kunststücken, ein Feuerschlucker stieß seine Flamme in den verblassenden Himmel und an den steil aufragenden Bergfried gelehnt saß eine wunderschöne Frau und las einer einfältig dreinschauenden Zofe aus der Hand.
    Nelson und Luk schlenderten durch die Reihen und hielten Ausschau nach Judith. Sie entdeckten sie und Schwester Clothilde inmitten einer Gruppe von Höflingen, von denen einige, wie Nelson erkannte, zum Gefolge des Fürsten gehörten. Unauffällig näherten sich die Freunde und blieben wie zufällig in Hörweite stehen.
    »… und selbst Ihr habt ihn nie zu Gesicht bekommen?«, fragte gerade eine blutjunge Edelfrau mit piepsiger Stimme.
    Judith schüttelte den blonden Lockenkopf. »Nein, nie. Ihr müsst wissen, dass ich mich nicht mehr an alles erinnere, was an jenem Tag geschah. Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, stand er an meinem Bett, doch sein Gesicht war durch eine Kettenhaube verborgen. Und doch… ich habe seine Augen gesehen. Die Melancholie in seinem Blick, der so viel Wärme in sich barg. Augen, türkis wie ein Bergsee, in dessen Tiefe alle Geheimnisse dieser Welt zu schlummern schienen. Geheimnisse, von denen…«
    In diesem Moment verschluckte sich Nelson an seiner eigenen Spucke und wurde von einem fürchterlichen Hustenanfall geschüttelt. Judith sah

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