Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
Vom Netzwerk:
und träufelte Flüssigkeit in die klaffende Wunde. Die Helfer packten den Verletzten und zerrten ihn auf die Trage. Dann schleppten sie ihn fort. Einer der Knappen beugte sich über das Schwert. Hob es mit spitzen Fingern hoch. Blut klebte am Stahl. Die Hand des Besiegten umschloss noch immer den Griff. Jenes Bild brannte sich in Nelsons Herz wie ein glühendes Eisen in nackte Haut: das tränenverschmierte Gesicht des jungen Knappen, der den Blick nicht lösen kann von der abgeschlagenen Hand seines Herrn.
    Die Zeit stand still. Bleierne Stille lag über dem Platz. Nelson wartete darauf, dass jemand die blutrünstige Show abbrechen würde. Aber nichts geschah. Allmählich löste sich die Erstarrung. Nach und nach setzten die Stimmen wieder ein. Vereinzelt hörte man sogar jemanden lachen.
    Mit einem Mal wünschte sich Nelson nie hergekommen zu sein. Dann wäre ihm dieser Albtraum, der ihn, wie er wusste, auf ewig verfolgen würde, erspart geblieben. Doch schon im nächsten Moment dachte er an Levent, der nur einige hundert Meter von hier in einem stinkenden Loch vor sich hin vegetierte. War nicht allein der Versuch, ihn zu befreien, wert, das hier zu ertragen?
    Die Fanfaren riefen zum nächsten Kampf, als hätte es den vorigen nie gegeben. Begleitet vom frenetischen Beifall der Menge trabten die Ritter aufs Feld. Das ganze Szenario kam Nelson vor wie ein Film, den jemand für kurze Zeit angehalten hatte. Jetzt begannen sich die Bilder wieder zu bewegen – mit neuen Darstellern, die sich anschickten dieselben Szenen nachzuspielen.
    Wenn den Kontrahenten das Schicksal des Zyprioten nahe gegangen war, dann ließen sie es sich zumindest nicht anmerken. Sowohl der blaue Reiter als auch Miguel de Burgos wirkten entschlossener denn je. Einen Moment lang empfand Nelson Abscheu angesichts ihrer zur Schau getragenen Kaltblütigkeit. Doch insgeheim ahnte er, dass sie gar nicht anders konnten, als die vorangegangenen Ereignisse auszublenden, wollten sie nicht Gefahr laufen, ein ähnliches Schicksal wie Christos zu erleiden.
    Dann ging alles sehr schnell. Miguel erwischte zwar den besseren Start, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund geriet sein Pferd plötzlich zu nahe an das Geländer, welches die Bahnen voneinander trennte. Das linke Bein des Spaniers touchierte einen Pflock, woraufhin er just in dem Augenblick, da er den blauen Reiter fixierte, die Linie verlor, sodass sein eigener Hieb ins Leere ging, während ihn der seines Gegners mit voller Wucht gegen die linke Schulter traf und aus dem Sattel katapultierte. Den Sturz überstand der Spanier unverletzt. Doch als er sich wieder hochrappelte, raste er vor Wut. Er riss sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn seinem weitertrabenden Pferd hinterher. Flüche hallten über den Platz, die den anwesenden Fräuleins die Schamesröte ins Gesicht trieben. Schließlich packte der Besiegte seine Lanze und zerbrach sie mit einem heftigen Ruck über dem Knie. Dann stapfte er davon.
    Nelson atmete auf. Der blaue Reiter hatte seine Chance genutzt, ohne den Gegner ernsthaft zu verletzen. Er hatte sich noch nicht einmal verausgabt. Nelson fasste wieder Mut.
    Ohne ein Anzeichen von Triumph trabte der Sieger zu Judith, der er zwar diesmal keine Trophäe darbieten konnte, die ihm jedoch ihrerseits eine Ehrung zuteil werden ließ, indem sie aus ihrem Haar ein weißes Band löste und es an die Lanzenspitze ihres Günstlings knotete. Sodann verließ er unter dem Jubel der Zuschauer den Platz.

22
     
     
     
    Tadeus grunzte zufrieden. »Wie wär’s mit einer kleinen Wette, Bruder Edward?«, fragte er. Seine listigen Augen tanzten hin und her.
    »Eine Wette?« Nelson spielte den Begriffsstutzigen.
    »Wir wetten auf den Sieger des Turniers«, erwiderte Tadeus lauernden Blickes.
    Nelson gähnte. »Ich würde ja gern. Aber wir sind Bettelmönche. Braucht eine Wette nicht auch einen Einsatz?«
    »Gewiss«, strahlte sein dicker Sitznachbar und rückte näher. »Für mich ist der Einsatz ganz und gar nebensächlich«, sagte er gedehnt, wobei seine Augen das Gegenteil verrieten. »Und doch… Es bereitet uns natürlich mehr Spaß, wenn wir eine Kleinigkeit…« Er zwinkerte Nelson zu. »Ich selbst würde – so sehr bist du mir bereits ans Herz gewachsen – den höchsten Einsatz wagen, während du…« Er machte eine wegwerfende Handbewegung und ließ den Rest unausgesprochen.
    »Den höchsten Einsatz«, wiederholte Nelson mit gespielter Neugierde. »Da bin ich aber gespannt.«
    Bruder Tadeus

Weitere Kostenlose Bücher