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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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aussah. Fassungslos verfolgte Nelson, wie ihr Streiter über den Platz gescheucht wurde, unfähig, auch nur einen eigenen Schlag zu landen. Vielleicht waren es nur Minuten, in denen der blaue Reiter auf diese Weise gedemütigt wurde, aber Nelson kamen sie wie Stunden vor. Nie hätte er für möglich gehalten, dass ein Mensch solche Kraft und Ausdauer entwickeln könnte, und bei jedem neuen Hieb erwartete er, dass es der letzte sei.
    Doch plötzlich geschah das Unerwartete. Als die Bewegungen Ingolfs schwerfälliger wurden, seine Kraft am Ende doch erlahmte, ließ der blaue Reiter seinen verbeulten Schild unerwartet fallen, packte sein Schwert mit beiden Händen, wich dem nächsten Schlag seines Gegners durch eine jähe Körperdrehung aus und setzte einen solch gewaltigen Hieb, dass Ingolfs Schwert in der Mitte entzweibrach, als wäre es aus Holz.
    Das alles ging so schnell, dass kaum einer der Zuschauer wirklich begriff, was er soeben miterlebt hatte. Einen ewigen Moment lang wirkte Ingolf wie erstarrt. Den Schwertstumpf in der Rechten, seinen unversehrten Schild auf Kniehöhe, war er dem blauen Reiter schutzlos ausgeliefert. Doch dessen letzter Streich blieb aus.
    Von irgendwoher löste sich plötzlich ein Schrei, dem weitere folgten. Und erst diese Schreie holten Graf Ingolf in die Wirklichkeit zurück. Der Schwertstumpf entglitt seiner Hand, der Schild ebenso. Ohne Hast zog er den Helm vom Kopf und trat auf seinen Gegner zu. Zum Zeichen der Ehrerbietung neigte er das Haupt vor ihm, verbeugte sich auch vor dem Publikum und verließ den Ort seiner Niederläge. Tiefes Schweigen begleitete seinen Abgang. Ein Schweigen, das einer Verbeugung gleichkam vor einem Ritter, der diesen Namen verdiente, weil er auch in der Niederlage wahre Größe bewies.
    Nelson fühlte sich seltsam berührt. Nach all den Kämpfen voller List und Tücke, Hass und Grausamkeit gab ihm der Ausgang dieses Kampfes den Glauben zurück, dass es ritterliche Ideale wie Maß und Ehre vielleicht doch gab. In diesem Moment erinnerte er sich an Professor van der Saale, die so vehement dafür eingetreten war, das Mittelalter nicht zu verteufeln. Weil nicht die Zeit oder Umstände über Gut und Böse entschieden, sondern immer die Menschen – und sie allein.

 
    23
     
     
     
    Ein dumpfes Grollen riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf und erblickte einen Zug von Trommlern, der sich von der Burg her dem Platz näherte. Der monotone Klang weckte in ihm erneut die Vorstellung, einem Gladiatorenkampf beizuwohnen, und er hätte sich nicht gewundert, wenn die Helden im nächsten Moment ihre Hand gereckt hätten, um Herrscher und Volk den geforderten Blutzoll zu entrichten: »Wir, die Todgeweihten, grüßen euch!«
    Aber die Falltüren öffneten sich nicht und die Löwen blieben in ihren Käfigen. Stattdessen tauchte wie aus dem Nichts Sir Brian auf. Seine Aufmachung sorgte für Überraschung. Über seiner Rüstung trug er jetzt ein weißes Cape, auf dem das rote Kreuz prangte. Dadurch tat er aller Welt kund, dass er am nächsten Kreuzzug teilzunehmen gedachte, um für das Christentum die Heilige Stadt Jerusalem zurückzuerobern. Ob er damit die verlorenen Sympathien der Zuschauer gewinnen oder sich bloß die Gunst der Kurie sichern wollte, blieb im Dunkeln. Nelson zumindest bezweifelte, dass es Brian bei seinem Vorhaben um etwas anderes als um seine persönliche Bereicherung ging – ein Antrieb, dem er, wie zu vermuten war, auch im Heiligen Land jede Menschlichkeit opfern würde.
    Der blaue Reiter hatte sich seit seinem Sieg über Graf Ingolf nicht vom Fleck gerührt. Als er jetzt Sir Brian entgegenschritt, hatte Nelson einen Augenblick lang den Eindruck, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Dieses Gefühl ging jedoch in dem aufbrausenden Jubel unter, der einem Orkan gleich durch die Arena fegte. Die beiden Ritter deuteten eine Verneigung an, bevor sie sich ihren Knappen zuwandten, die die Waffen für sie bereithielten. Nelson beobachtete, wie der blaue Reiter sein Schwert aus der Scheide zog und prüfend gegen das Licht hielt. Wieder spürte er, dass etwas anders war als vorhin, ohne sofort darauf zu kommen, was es war. Plötzlich fiel ihm auf, dass der linke Arm des blauen Reiters schlaff an ihm herunterhing, auch Kopf und Hals wirkten steif wie bei einer Puppe. Als ihm sein Knappe den Schild reichen wollte, schüttelte der Ritter langsam den Kopf. Nelson stockte der Atem. Im selben Moment ging ein Raunen durchs Publikum, das Nelsons dunkle Ahnung in eine

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