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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Smith
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schlimme Gewissheit verwandelte: Der blaue Reiter war verletzt!
    Neben ihm stöhnte Luk leise auf. »Das war’s wohl«, murmelte er.
    Nelson dachte an den vorangegangen Kampf, an Graf Ingolfs wütende Angriffe und die unmenschlichen Anstrengungen des blauen Reiters, die furchtbaren Schläge abzuwehren. Vielleicht war der Arm gebrochen. Oder ausgekugelt. Jedenfalls schien er nicht mehr zu gebrauchen zu sein. Das begriff jetzt, da der blaue Reiter in die Arena schritt Hales seinem letzten Kampf entgegen, der womöglich der letzte Kampf seines Lebens sein würde –, auch der letzte Zuschauer im Rund.
    Nelson bebte. Sir Brian hatte hinlänglich bewiesen, was er von Begriffen wie Ehre, Anstand oder Fairness hielt. Ihn würden auch jetzt keine Skrupel beschleichen, den ihm gebotenen Vorteil zu nutzen. Im Grunde war der Kampf bereits entschieden, bevor die Kämpfer das erste Mal ihre Schwerter gekreuzt hatten. Für den blauen Reiter konnte es jetzt nur noch darum gehen, einen würdigen Abgang zu finden ohne sein Leben dabei zu lassen.
    Sir Brian fackelte nicht lang. Ohne Vorgeplänkel hieb er sogleich auf seinen Gegner ein, als wollte er diesen unrühmlichen Kampf rasch hinter sich bringen. Anders als Graf Ingolf ging der Engländer jedoch nicht ungestüm zu Werke. Vielmehr wirkte er höchst konzentriert und berechnend. Präzise setzte er einen Schlag nach dem anderen und wartete auf die Lücke, um den entscheidenden Treffer zu landen.
    Der blaue Reiter konnte einem Leid tun. Mühsam wehrte er die Schläge mit seinem Schwert ab und kam gar nicht erst dazu, einen eigenen Angriff zu starten. Je länger der Kampf dauerte, desto offensichtlicher wurde, dass Sir Brian aus den Fehlern Graf Ingolfs gelernt hatte. Trotz seiner Attacken verausgabte er sich nicht, sondern gönnte sich hin und wieder kurze Pausen, in denen er mit seinem Gegner sogar zu spielen schien. Einmal bot er ihm wie zufällig seine ungeschützte Seite dar, ein anderes Mal ließ er sein Schwert zu Boden sinken und verharrte einen ewigen Moment lang in absoluter Reglosigkeit. Ob er den blauen Reiter durch solche Aktionen provozieren und aus der Reserve locken wollte oder ob sein Gehabe nur Ausdruck seiner unerschütterlichen Siegesgewissheit war – die Zuschauer jedenfalls wussten in jeder einzelnen Sekunde, wer von beiden der Herr im Ring war.
    Der Kampf dauerte lange. Viel zu lange. Jeden Moment erwartete Nelson das Unvermeidliche. Aber Sir Brian hatte Gefallen daran gefunden, seinen Gegner vor aller Welt zu demütigen, den Sockel, auf den man den unbekannten Helden gestellt hatte, Schlag für Schlag zu zertrümmern. Während die Minuten zerrannen, empfand Nelson tiefes Mitleid mit diesem Mann, der bereit war, für die Idee einer großen Liebe zu sterben. Noch größer jedoch war die Scham, die in Nelson fraß, weil er und seine Freunde den Ritter in diesen Sumpf gestoßen hatten, aus dem er sich aus eigener Anstrengung nicht würde befreien können.
    Dann machte Brian plötzlich Ernst. Ein Ausfallschritt – und er traf den blauen Reiter an seiner ungeschützten linken Seite. Der Schlag war so heftig, dass er das eiserne Kettenhemd am Oberarm wie Gummi durchschnitt. Blut rann aus der Wunde und tropfte zu Boden. Eine zweite Attacke konnte der blaue Reiter gerade noch abwehren. Doch unversehens zielte Brian nach unten und traf das Bein seines Gegners, wieder mit der scharfen Schneide, die den ledernen Plattenpanzer am Schienbein glatt durchtrennte. Einige Zuschauer schrien auf, andere sprangen entsetzt hoch und auf der Ehrenloge beugten sich zwei Edeldamen zum Fürsten und redeten aufgeregt auf ihn ein.
    Als dieser sich gerade anschickte, das unwürdige Spektakel zu beenden, passierte etwas, das eine Kette von Ereignissen nach sich zog, die in Nelsons Erinnerung später zu einem einzigen Bild verschmolzen: Ein spitzer Schrei war zu hören, der alle anderen übertönte. Judith war aufgesprungen, dem Anschein nach im Begriff, auf den Platz zu stürzen. Schwester Clothilde hielt sie am Arm fest, eine andere Frau schnappte nach dem Saum ihres Kleides. In dieser Sekunde war der blaue Reiter einem weiteren Streich Sir Brians ausgewichen, der sich einen Augenblick lang durch die Ereignisse auf der Gegentribüne ablenken ließ. Ein winziger Moment nur, der den Kampf jedoch entscheiden sollte.
    Die halbe Drehung, durch die der blaue Reiter Sir Brians Schlag auswich, der Schwung, mit dem er sein Schwert hochriss und seitlich gegen den Kopf seines Gegners knallte – es

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