1228 - Der Monstervogel aus Atlantis
dass dieser Riesenvogel auf Menschenjagd ging und seine Beute verschluckte wie andere Vögel die Fliegen, dann wurde mir schon ganz anders zumute, und ich spürte auch ein leichtes Brennen in der Kehle ebenso wie in meinem Magen.
Mir kam der Eiserne Engel in den Sinn, und ich stellte sofort meine Frage. »Wird der Eiserne eingreifen?«
»Er befindet sich in einer Lauerstellung.«
»Wo denn?«
Myxin lächelte. »In der normalen Welt, John. Er kreist dort. Er musste einfach weg. Wir haben ihn gebeten, hier auf dich zu warten, aber er wollte es nicht. Er wollte da sein, wenn der Gryx wieder erscheint, und ich hoffe nur, dass er schnell genug ist.«
»Was ist mit Sedonia?«, erkundigte ich mich.
Kara zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir nur sagen, dass er sie mitgenommen hat. Wir waren dagegen, aber er hat nicht auf uns gehört. Es war ihm einfach wichtig, seine Prinzessin bei sich zu haben.« Sie lächelte. »Liebe kann oft seltsame Wege gehen, denke ich.«
»Das stimmt allerdings.« Ich drehte den Kopf und schaute durch die offene Tür nach draußen. In London war es jetzt dunkel, schwül und einfach schlimm. Hier aber atmete ich eine wunderbare Luft ein, und eine angenehme Wärme drang in das Haus. »Wann sollen wir zu den Steinen gehen?«
»Jetzt«, sagte Myxin.
»Gut. Und ihr seid sicher, dass Gryx erscheinen wird?«
»Wir hoffen es.«
Bevor ich aufstand, sagte ich noch: »Gryx ist ein ungewöhnlicher Name, woher kommt er? Ich habe schon nachgedacht und bin auf den Namen Greif ge…«
»Ja, das hängt zusammen«, gab Myxin zu. »Denn auch der Greif ist ein mystischer Urvogel gewesen. Bei Gryx ist es auf irgendeine Art und Weise nicht anders.«
Ich räusperte mich. »Da bin ich ja mal gespannt, ob wir herausfinden, wo er erscheint.«
Kara und Myxin erhoben sich. »Wir müssen es schaffen«, sagte die Schöne aus dem Totenreich. »Er darf nicht dort weitermachen, wo er in Atlantis aufgehört hat.«
Kara hatte mit dem nötigen Ernst gesprochen, und auch für mich war das alles andere als ein Spaß. Ich hatte den Gryx noch nicht gesehen, ich wusste auch nicht wie groß er war, aber er musste schon verdammt riesig sein, wenn er es schaffte, Personen zu schlucken. Lange Zeit hatte ich mit derartigen Monstern nichts mehr zu tun gehabt. Ich hatte sie schon vergessen, aber das Erbe des versunkenen Kontinents meldete sich doch immer wieder zurück…
***
Es glich schon einer kleinen Prozession, als wir uns den Flammenden Steinen näherten. Neu war ihre Magie für mich nicht, aber wie das eben so ist, wenn man etwas lange nicht mehr erlebt hat, der Mensch ist schon aufgeregt und hofft, dass alles glatt über die Bühne gehen wird. Mir erging es da nicht anders, denn auch ich spürte ein Kribbeln in Höhe des Magens und auch in Herznähe. Zudem hatte ich leicht feuchte Hände bekommen, und im Nacken hatte sich der Schweiß gesammelt.
War es ein Glück? War es ein Unglück?
Noch lag alles in der Waagerechten, und ich wusste nicht, wohin sich das Pendel neigte.
Irgendwo sang ein Vogel. Ich sah ihn nicht. Er hockte im dichten Laub eines Baumes verborgen. Da es um mich herum still war, nahm ich den Gesang besonders intensiv wahr. Er war hell und zwitschernd, und ich konnte nur hoffen, dass es kein Abschiedsgesang für mich war, denn ich wollte noch etwas länger leben.
Kara und Myxin schritten schweigend neben mir her und hatten mich in ihre Mitte genommen. Sie waren ebenso auf die Steine konzentriert wie ich, die dort als stumme Zeugen einer uralten Epoche ihren Platz gefunden hatten.
Als wir die Steine fast erreicht hatten, hörte auch der Vogel auf zu singen, und es wurde plötzlich sehr still.
Wir blieben stehen.
Kara schaute mich an, Myxin ebenfalls, und beide sahen aus, als wollten sie mir Mut machen, das Innere des Quadrats zu betreten. Es kam mir alles so neu vor. Ich hatte es schon öfter erlebt, und trotzdem wurde ich den Eindruck nicht los, dass es der erste Schritt war, den ich in eine verzauberte Welt tat.
Jetzt, da ich direkt am Rand des Quadrats stand, sah ich auch die feinen Linien, die sich durch das perfekt geschnittene Gras zogen und die vier Steine diagonal miteinander verbanden. In der Mitte trafen sich die Linien an einem bestimmten Punkt, und der war auch unser Ziel.
Kara und Myxin führten mich hin. Sie sprachen dabei kein Wort. Es sah aus, als wären sie dabei, sich schon jetzt auf das ungemein Wichtige zu konzentrieren, für das ich keine normale Erklärung hatte und es
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