1229 - Das Vogelmädchen
möglicherweise sogar den Riesenvogel.
Maxine Wells konnte nicht anders. Sie musste das Tier einfach beobachten, auch wenn ihr die Arme wehtaten von dieser ungewöhnlichen Haltung. Sie wollte alles sehen, und sie erlebte eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffen und Bangen.
Manchmal sah es so aus, als würde Carlotta es schaffen, dann wiederum holte der unheimliche Riesenvogel blitzschnell auf, was ihn nur einen mächtigen Schlag seiner Schwingen kostete.
Aber er packte sie nicht. Er spielte mit ihr. Bestimmt sollte ihr das gleiche Schicksal vergönnt sein, wie dem Kapitän des Schiffes, doch der Vogel dachte nicht daran, sie sich schon jetzt zu holen. Er ließ sie einfach noch zappeln, aber er blieb stets hinter und auch leicht über der Flüchtenden.
Sie flog den Weg, den sie immer genommen hatte. Das musste sie tun, denn ihn kannte sie. Und er würde sie auch schneller in die bewohnten Gegenden bringen, obwohl das nicht mehr ausreichen würde, denn das fliegende Untier würde sie überall erreichen. Alles, was er jetzt tat, war lächerlich.
Carlotta flog verdammt schnell. Maxine Wells hatte sie noch nie so schnell fliegen sehen. Es war schon ein Wunder, sie drückte ihr die Daumen und trotzdem würde es nicht schnell genug sein. Etwas anderes war ihr auch klar. Wenn Carlotta so weiterflog, dann musste sie auch die Stelle erreichen, wo Maxine stand, denn sie war hinausgefahren, weil sie sich um ihren Schützling Sorgen machte, denn Carlotta hatte die Zeit ihrer Rückkehr um einiges überschritten.
Und noch etwas konnte passieren. Carlotta würde landen, wenn sie ihre neue Ziehmutter sah, und das würde sich auch der Monstervogel nicht entgehen lassen, denn Platz genug gab es.
Viele, viele Vermutungen und Gedanken kreisten durch den Kopf der Tierärztin, die endlich ihre Arme mit dem Glas sinken ließ und so eine beque mere Haltung einnehmen konnte.
Beide waren mit bloßem Auge zu erkennen. Sie rauschten durch die Dunkelheit. Hinter und über ihnen der mächtige Himmel, an dem sich jetzt einige Sterne mehr zeigten, weil der Wind die meisten Wolken zur Seite gescheucht hatte.
Das Glas baumelte vor Maxines Brust. Die Hände hielt die Frau zu Fäusten geballt. Sie ist so verdammt klein und hilflos!, dachte sie. Wie mächtig dagegen ist der verfluchte Verfolger.
Plötzlich überkam sie ein wahnsinniger Hass auf diesen Monstervogel, für dessen Existenz es keine Erklärung gab.
Carlotta kam, und sie verlor an Höhe!
Die helleren Flügel hoben sich deutlich von der dunkleren Kleidung ab. Ihre Bewegungen waren noch besser zu sehen.
Manchmal wurde sie trotz des leichten Landeanflugs wieder ein Stück in die Höhe gehoben, wenn sie einen der Aufwinde vergessen hatte.
Maxine fühlte sich wie eine Fieberkranke. Dann wurde sie unsicher, denn sie fürchtete, dass Carlotta sie trotz des hellen Strandes nicht sehen konnte.
Aber sie wollte nicht, dass ihr Schützling einfach vorbeiflog.
Da musste doch etwas zu retten sein.
Carlotta sackte noch tiefer.
Ja, das klappte jetzt.
»Komm! Komm zu mir, Carlotta!«
Es war nicht nur der Ruf allein, der Carlotta entgegentrieb.
Die Tierärztin hatte all ihre Verzweiflung hineingelegt. Sie wollte das Mädchen bei sich haben. Dass sie selbst dabei in Gefahr geriet, daran dachte sie nicht.
Carlotta war jetzt tief genug, um sie verstehen zu können.
Maxine sah das kurze Zögern, das schnelle Winken und dann die Veränderung des Flugs.
Alles sah so leicht aus. Als wäre es für einen Menschen das normalste der Welt, aus dem Himmel zu fallen und mit lockeren Schritten den Erdboden zu betreten.
Kein noch so geübter Fallschirmspringer hätte eine bessere Landung hinlegen können als Carlotta. Darin war sie einfach perfekt.
Maxine Wells hielt nichts mehr an der gleichen Stelle. Sie wollte nicht darauf warten, dass Carlotta zu ihr kam, sie lief ihr bereits entgegen. Den verdammten Riesenvogel hatte sie vergessen, ebenso wie die blonde Frau auf seinem Rücken.
Jetzt zählte nur noch Carlotta!
Maxine hörte sie keuchen. Schon daran erkannte sie, wie fertig ihr Schützling war. Der Flug, obwohl nicht besonders lang, hatte sie angestrengt.
Ihr Gesicht war so jung und auch fein geschnitten. Nun aber war es vor Anstrengung verzerrt.
Maxine sah Carlotta an, dass sie etwas sagen wollte, doch die Frau schüttelte nur den Kopf, und das Vogelmädchen schwieg.
Nur ihr heftiger Atem war zu hören.
Maxine Wells hatte alles vergessen. Es gab nur noch Carlotta, die sie an sich riss und hart
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