1229 - Das Vogelmädchen
unten gleiten, und es fiel dabei senkrecht hinab, beinahe wie ein Ufo, das kurz vor der Landung seine Teleskopbeine ausfährt, um den nötigen Halt zu bekommen.
Der Rie senvogel landete. Es klang nur ein leichtes Schaben auf, nicht mehr. Er stellte sich nicht mehr auf seine Füße und blieb im weichen Sand hocken.
Die beiden Menschen standen vor ihm und mussten sich eingestehen, dass sie auch stehend noch kleiner waren als der mächtige Vogel in seiner hockenden Haltung.
Er schaute sie an. Nein, das war kein Schauen, das war ein Starren seiner Riesenaugen, die ihnen vorkamen wie dunkle Spiegel, deren Oberfläche trotzdem hell poliert war.
Der Schnabel leuchtete heller als das Gefieder. Er wirkte wie aus einem kostbaren Holz geschnitzt, besaß die perfekte Krümmung, die in einer scharfen Spitze endete, wenn die beiden Schnabelhälften endgültig zusammenklappten.
Auf dem Rücken hockte die Blonde. Auch sie hatte die Landung locker überstanden. Jetzt stand sie auf und fegte mit einer heftigen Kopfbewegung die Haare zurück, bevor sie mit einem weiten Sprung den Körper des Tieres verließ und mit beiden Füßen zugleich im Sand landete.
Für einen Moment blieb sie stehen. Das Sternenlicht reichte nicht aus, um sie deutlich zu erkennen, aber es war schon zu sehen, dass sie sehr helle Augen besaß, die den beiden Zuschauern so fremd vorkamen und im Prinzip eine Ähnlichkeit mit den Augen des Vogels aufwiesen.
Der hatte es sich bequem gemacht. Er hockte im Sand als wollte er brüten, und nur einige wenige Federn bewegten sich bei ihm, wenn der laue Wind über sie hinwegstrich.
»Was meinst du, Max, wird er uns etwas tun?«
»Keine Ahnung. Man kann nie wissen und…«
»Ich glaube es nicht«, sagte Carlotta leise. »Ich habe eher das Gefühl, als fühlte er sich zufrieden mit dem, was er erreicht hat.«
»Wie kommst du darauf?«
»Es ist komisch, Max, aber lach bitte nicht.«
»Ich werde mich hüten.«
Das Vogelmädchen atmete tief durch. »Ich meine sogar, ihn verstehen zu können«, sagte es dann. »Nicht dass ich mit ihm reden kann, aber es gibt zwischen uns ein Band. Er ist eigentlich nicht so fremd, wie er es sein müsste.«
Maxine sagte nichts.
»Glaubst du mir nicht?«
»Doch, Kind, mittlerweile glaube ich dir sogar alles. Aber zunächst glaube ich, dass uns die Frau nicht eben freundlich gesonnen ist. Das riecht nach Ärger.«
Die Blonde hatte noch nichts getan, doch aufgrund ihrer Bewegungen war es nicht schwer, ihre Absicht zu erraten.
Freundlich sah sie zudem nicht aus, und ihr Blick war eiskalt.
Maxine begann zu frieren. Diese Person war eine Wilde, eine Bestie, die sich nur schwer zurückhielt. Ihre Waffe hatte sie geschultert und locker die rechte Hand auf den Griff gelegt, damit sie nicht von ihrer Schulter rutschen konnte.
Zwischen dem Riesenvogel und den beiden Menschen blieb sie stehen. Maxine fasste Carlottas Hand noch fester, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht im Stich gelassen wurde.
»Es geht schon gut, Max…« Der Satz war schrill gesprochen, denn die Vogelstimme hatte bei Carlotta wieder die Oberhand gewonnen. Das passierte öfter in Stresssituationen.
Mit einer wilden Bewegung schüttelte die Blonde den Kopf.
Dann schrie sie den beiden etwas entgegen. Es war eine Sprache, die keine von ihnen verstand. Auch wenn sie sie verstanden hätten, das Schrille hätte alles andere übertönt.
Maxine hob die Schultern.
Die Blonde brüllte sie noch mal an.
»Verdammt, ich verstehe nichts. Du, Carlotta?«
»Auch nicht.«
»Da siehst du es…«
»Sina!«, sagte die blonde Frau plötzlich und deutete mit der freien Hand auf sich.
Beinahe hätte die Ärztin sogar gelächelt, denn so wie die Frau mussten sich auch die ersten Eroberer verhalten haben, als sie von Europa aus nach Westen segelten, um Indien zu finden, stattdessen aber Amerika entdeckten.
»Sina!« schrie sie wieder.
Carlotta begriff. »Es ist ihr Name, Max. Sie hat uns ihren Namen genannt.«
»Das denke ich auch.«
»Willst du deinen sagen?«
»Wäre vielleicht nicht verkehrt.«
Maxine hatte schon angesetzt, als Sina reagierte. Mit einer blitzschnellen Bewegung hob sie das Schwert von ihrer Schulter an, das im nächsten Moment einen Schwung nach vorn machte und mit der Spitze auf die kleine Carlotta zeigte.
Das Vogelmädchen reagierte nicht. Starr vor Schreck stand es im Sand und schaute auf die Klinge.
Sina schrie sie an.
Ihre Sprache war nicht zu verstehen, aber Carlotta wusste trotzdem, was sie
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