123 - Der Tempel im Dschungel
meine Frau schaut mich jedesmal, wenn ich den Mund aufmache, an, als sei ich ein Unmensch oder ein Ungeheuer."
Die blonde Frau wandte sich ab. Sie wollte sich mit ihrem Mann nicht herumstreiten. In Bombay hatte sich Roger Ballard Zurückhaltung auferlegen und einigermaßen an die gesellschaftlichen Konventionen halten müssen. Zudem war er durch seine Arbeit die meiste Zeit von seiner Frau getrennt gewesen. Jetzt genoß sie ihn ständig. Im Dschungel gab er sich ganz als der grobe, ungehobelte Klotz, der er war.
„Wenn diese Menschen sich weiter beim Shiva-Tempel aufhalten und ihn plündern, geschieht ein Unglück", sagte Reena leise zu Unga. „Kann man denn nichts tun, um sie von hier wegzubringen?" „Ich will mit ihnen reden", antwortete der Co Magnon. „Mir scheint, hier ist schon einiges geschehen. Aber vielleicht lassen sich weitere Katastrophen verhindern."
Unga trat aus dem Bambusgebüsch, hob beide Hände in Schulterhöhe und zeigte die leeren Handflächen als Zeichen seiner friedlichen Absichten. Dann rief er die Leute an.
Roger Ballard wirbelte herum. Er hatte im Nu das Schnellfeuergewehr von der Schulter gerissen, entsichert und zielte auf Ungas breite Brust.
Roger Ballard hatte schon fast den Finger am Abzug gekrümmt, als sein Denken seine Reaktionen einholte. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er den riesigen dunkelhaarigen Mann, der dort im Schatten vor dem Bambusgehölz stand.
„Ich komme mit friedlichen Absichten", sagte Unga. „Können meine Begleiterin und ich zu euch ans Feuer kommen?"
„Na, dann kommt mal!" rief Roger Ballard auf englisch. „Aber macht keine Dummheiten, sonst schießen wir euch zum Sieb!"
Unga winkte Reena zu, die aus dem Dickicht trat. Langsam gingen sie auf das hochlodernde Feuer zu. Auch Radschendra Bhandri starrte auf Unga und Reena, das Gewehr im Anschlag.
„Du sollst das Seeufer im Auge behalten, Radsch, verdammt noch mal!" fuhr Roger Ballard ihn an und wandte sich dann wieder an Unga. „Wirf dein Messer weg, Langer! Und was ist das da für ein Knochending an deinem Gürtel?"
„Ein Kommandostab", antwortete Unga wahrheitsgemäß.
Ballard lachte. „So, ein Kommandostab. Wen kommandierst du denn damit? Die Wasserflöhe?" Unga nahm mit zwei Fingern sein Kampfmesser aus der Scheide und warf es vor Roger Ballards Füße.
Ballard musterte Reena von Kopf bis Fuß. „Eine zuckrige Puppe. Was treibst du denn mit der mitten im Dschungel? Wer bist du überhaupt und wie kommst du hierher?" Mißtrauen glomm in seinen Augen. „Wenn du es auf die Schätze des Shiva-Tempels abgesehen hast - die gehören uns. Wir waren zuerst hier und haben sie gefunden."
„Ihr dürft diese Schätze nicht nehmen!" rief Reena. „Shiva wird sich rächen. Ihr müßt sie in den Tempel zurückbringen, Shiva um Verzeihung bitten und diesen Platz so schnell wie möglich verlassen."
„Die ist noch verrückter als Radsch Bhandri", sagte Roger Ballard. „Wir kümmern uns einen Dreck um Shiva. Du hast meine Fragen noch nicht beantwortet, Langer."
„Ich heiße Unga Triihaer und bin Isländer und Indologe, ein Mann also, der sich mit der indischen Geschichte und Kultur befaßt. Es spielen sich zur Zeit in Indien Dinge ab, von denen Sie keine Ahnung haben, Mister, und es sind Kräfte am Werk, die Sie sich nicht vorstellen können. Wenn Sie und Ihre Begleiter hierbleiben, steht Ihnen allerhand bevor."
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier willst."
„Sie warnen. Es ist wirklich besser, wenn Sie diesen Ort verlassen."
Unga spürte keine dämonische Ausstrahlung. Er hatte es mit normalen Menschen zu tun. Naturgemäß waren sie gegen ihn und Reena erst einmal mißtrauisch und skeptisch. Besonders der stämmige Mann mit dem roten Gesicht und dem braunhaarigen Lockenkopf war äußerst stur und feindselig.
Er deutete mit dem Kinn auf Reena. „Was ist mit der da?"
„Meine Begleiterin, ich sagte es schon. Sie heißt Reena und gehört zu einer Sekte, die hier in der Gegend einen Treffpunkt hat."
„Ha!" schrie Roger Ballard. „Ich wußte es doch! Diese Bande will uns ausnehmen. Aber daraus wird nichts. Ihr seid unsere Gefangenen. Edward, Liz, paßt auf! Vielleicht sind noch mehr von ihnen in der Nähe. Radsch, du achtest auf den See! Wo bleibt denn Chet so lange?"
Unga wußte jetzt immerhin die Vornamen der Leute, mit denen er es zu tun hatte. Er begriff, daß er sie nicht überzeugen konnte, die Schätze zurückzulassen und von dem Dschungeltempel fortzugehen. Er
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