1233 - Der Kunst-Vampir
ich noch nie zuvor gesehen. Gelbe Augen und ein Maul mit großen Zähnen oben. Sie waren spitz, und sie haben versucht, mich zu beißen. Sie wollten in mein Gesicht oder in meinen Hals hacken, das habe ich alles noch mitbekommen.«
»Hat er es denn geschafft?«, fragte Dagmar, während sie sich zugleich den Hals der Frau so gut wie möglich anschaute.
»Nein, nicht richtig, glaube ich. Das hat er nicht geschafft. Ich habe mich gewehrt, habe geschlagen und getreten, aber ich bin dann doch zu schwach gewesen. Dann warf er mich einfach hin. Er schleuderte mich zu Boden, und ich kam nicht mehr richtig hoch. Bis Sie bei mir waren, Dagmar. Dann wurde alles gut.«
»Ja, das denke ich auch. Sie haben es überstanden, Anita. Nun wüsste ich gern, ob Sie gesehen haben, in welche Richtung der Angreifer geflohen ist.«
»Nein, das habe ich nicht. Er war plötzlich weg. Einfach so. Er huschte zur Seite. Der war wie ein Schatten und kaum zu hören. Das kam mir vor, als könnte er fliegen, so schnell ist er gewesen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch immer nicht, wie so einer überhaupt leben kann. Das ist mir unerklärlich. Da komme ich nicht mit.« Sie legte den Kopf zurück und holte tief Luft, schloss die Augen und sagte nichts mehr.
Dagmar schaute sie von der Seite an. Sie schätzte das Alter der Frau auf knapp unter vierzig. Auf ihrem Gesicht war das Blut schon teilweise verkrustet. Die Wunden waren nicht so tief eingerissen worden. Trotzdem war es besser, wenn sich die Frau in ärztliche Behandlung begab, das riet ihr Dagmar wieder.
»Nein, ich will nicht ins Krankenhaus.«
»Nur ambulant. Ich werde Sie gern hinbringen.«
»Ich muss nach Hause.«
»Zu Ihrem Mann?«
Da hatte Dagmar das richtige Thema angesprochen, denn für einen Moment war die Attacke vergessen. Anita Köhler legte den Kopf zurück, und aus ihrem Mund drang ein scharfes Lachen.
»Mein Mann ist ein Schwein. Er hat mich betrogen, und das nicht nur einmal. Immer und immer wieder. Ich habe ihm das auch gesagt, und er hat es nicht abgestritten. Wenn ich zurückkehre, dann muss ich ihn sehen. Aber ich will ihn nicht mehr sehen. Er soll sich zum Teufel scheren und zu seinen Weibern ziehen. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden, das ist alles.«
»Einverstanden, Anita, wir werden gemeinsam eine Lösung finden. Aber Ihre Verletzungen müssen behandelt werden. Sie können sich unter Umständen eine Infektion holen, und ich denke, dass dies keine von uns beiden will.«
»Das nicht.«
»Dann kommen Sie!«
Dagmar Hansen stand vor Anita Köhler auf. Automatisch drehte sie ihren Kopf, um die Umgebung abzusuchen. Bisher hatten sie allein auf der Bank gesessen. Es war in dieser Zeit auch niemand an ihrer Bank vorbeigegangen. In dieser Nacht schienen die Spaziergänger den Park zu meiden.
Mühsam und mit Dagmars Unterstützung zog sich die Frau in die Höhe. Zitternd blieb sie stehen. Dies übertrug sich auch auf ihr Gesicht, denn der Mund zuckte ebenfalls, aber sie schaffte es nicht mehr, ein Wort hervorzubringen.
Egal, wohin sie gingen, sie mussten immer wieder eine Treppe hoch. Und bis zur anderen Seite des Parks wollte Dagmar mit ihrem Schützling nicht laufen.
Natürlich kreisten die Gedanken durch ihren Kopf, und es waren nicht eben positive. Sie dachte daran, dass ein Vampir eigentlich nicht so leicht aufgab. Er hatte plötzlich das Weite gesucht, ohne das Blut der Frau getrunken zu haben. Dagmar überlegte. War es auf sie zurückzuführen? Hatte der Blutsauger das Weite gesucht, nur weil sie erschienen war?
Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, aber es war richtig, dass es ihn gab. Er war keine Einbildung. Die Zeugen hatten sich nicht geirrt.
»Kommen Sie, Anita.«
»Ja!« Nach diesem Wort presste sie die Lippen zusammen.
Sie wollte sich nicht hängen lassen, sie brauchte auch Dagmars Hilfe nicht, aber sie ging nicht normal und humpelte, als hätte sie sich vertreten.
»Lassen Sie mich helfen…«
Das Wort wurde Dagmar von den Lippen gerissen, denn in der folgenden Sekunde veränderte sich alles.
Der Angriff erfolgte von oben.
Irgendwo auf dem Denkmal musste die Gestalt gelauert haben. Sie ließ sich fallen, und plötzlich war alles anders.
Dagmar Hansen erwischte es am Rücken. Der Aufprall war hart, und sie kam sich plötzlich vor wie ein Geschoss, das nach vorn flog, sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und der Länge nach zu Boden stürzte…
***
In diesen Augenblicken arbeitete ihr Gehirn rasend
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