1233 - Der Kunst-Vampir
aussuchen. Wir fanden einen netten Tisch am Fenster, setzten uns gegenüber, und ich bestellte mir, da ich Durst hatte, zunächst mal ein Bier.
»Das musste sein«, sagte ich.
»Kein Vorwurf, John.« Dagmar nahm Wasser.
Wir schlugen die Speisekarten auf, und ich wusste mit einem Blick, was ich bestellen würde. Thüringer Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelbrei.
Dagmar Hansen entschied sich für einen Salat mit Pinienkernen und gebratenen Hähnchenstücken.
»Mehr nicht?«
»Nein.«
»Das kenne ich von Glenda und Jane.«
Da hatte ich ein Thema angesprochen, über das ich noch redete, als das Bier bereits serviert wurde. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen, es war viel passiert, und da wollte Dagmar natürlich so einiges von mir wissen.
Ich fasste mich kurz und kam dann zum eigentlichen Grund meines Besuchs in Weimar.
»Du brauchst mir nichts mehr zu sagen, denn das hat Harry Stahl bereits getan. Es sei denn, es gibt Einzelheiten, die…«
»Die gibt es.«
»Und welche?«
Für einen Moment schaute sie mich nachdenklich an. Dieser Blick galt dem, an das sie sich erinnerte, und sie kam auch sofort auf die blonde Helferin zu sprechen.
»Da war die Frau, John, und zugleich die Vampirin.«
»Justine Cavallo!«
Dagmar zuckte leicht zusammen. »Du kennst sie?«
»Ja, ich kenne sie. Und zwar sehr gut. Man kann auch ›le ider‹ sagen, und ich kann dir gratulieren, dass du noch am Leben bist. Aber das hast du wohl dem da zu verdanken.« Ich deutete mit dem rechten Zeigefinger gegen ihre Stirn.
»Stimmt.« Sie schob Glas und Flasche zur Seite, um sich vorbeugen zu können. Ich trank den zweiten Schluck Pils und hörte ihre Frage. »Ist sie wirklich so stark?«
»Leider«, musste ich zugeben. »Diese Frau ist schon als Einzelperson höllisch gefährlich. Aber im Verbund mit Dracula II und seit kurzem auch mit Vincent van Akkeren ist sie einfach zu einer Macht geworden, die man keinesfalls unterschätzen darf.«
Dagmar hatte zugehört und nickte. Dann fragte sie mit leiser Stimme: »Und was tut sie hier?«
»Das solltest du besser wissen. Es geht ihr um den Vampir in der Ausstellung, der echt ist.«
Dagmar Hansen schloss für einen Moment die Augen. »Man kann es sich kaum vorstellen«, flüsterte sie. »Ein echter Vampir, der aber nicht aussieht, wie man sich normalerweise einen vorstellt. Für mich ist er keine Einheit, sondern eine Kunstfigur. Da hat man einen Kopf auf einen fremden Körper gesetzt, und das erinnert mich wieder an die Geschichte von Frankenstein.«
»Möglich ist es. Da hat jemand ein Kunstgeschöpf gescha ffen, und Justine ist gewissermaßen seine Leibwächterin.«
»Verrückt, John.«
Unser Essen wurde von einem jungen Mädchen serviert, das sehr freundlich lächelte und uns guten Appetit wünschte.
Mir mundete es ausgezeichnet, und auch das Bier schmeckte zu dem Essen super.
Ich hatte zwar viel erfahren, aber mir war bisher unbekannt, wie es weitergehen sollte. Wir konnten nicht hier sitzen bleiben und nur die Daumen drehen. Ich fragte Dagmar danach.
»Genau weiß ich das auch nicht«, sagte sie, »wir könnten natürlich in die Ausstellung gehen…«
»Hatte ich mir so vorgestellt.«
»Da bin ich heute Morgen schon gewesen.«
»Sehr gut.«
Sie lächelte etwas verkniffen. »Etwas Neues gab es nicht. Er ist nach wie vor verschwunden. Der Platz, an dem unser Kunst-Vampir gestanden hat, ist leer.«
»Das hört sich nicht gut an.«
»Meine ich auch.« Sie senkte den Blick, bevor sie weitersprach. »Dann habe ich noch etwas getan«, sagte sie mit leiser Stimme. »Es ist ja Zeit genug gewesen, sodass ich mich hier in Weimar umschauen konnte. Ich habe mich nach der Frau erkundigt.«
»Du meinst nach der, die du gerettet hast?«
»Ja. Anita Köhler.« Dagmar schob ihren leeren Teller zur Seite. »Ich habe herausgefunden, wo sie wohnt. Ich war auch in dem Haus, aber sie hat mir nicht geöffnet. Es hat niemand aufgemacht. So bin ich unverrichteter Dinge wieder gega ngen.«
»Lebt sie denn allein?«
»Nein. Eigentlich mit ihrem Mann.«
»Was heißt das?«
»Beide haben sich gestritten.« Ich erfuhr zum ersten Mal, wie Dagmar die Frau überhaupt kennen gelernt hatte. Ein Ehekrach, eine Trennung in der Nacht und dann der Angriff, dem die Entführung folgte.
»Das sieht für die Frau alles andere als gut aus«, sagte ich.
»Es ist zu befürchten, dass wir sie nicht mehr als normale lebendige Person finden werden.«
»Ja, das befürchte ich auch. Trotzdem müssen wir sie
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