1233 - Der Kunst-Vampir
kleinen Schreibtisch und erfuhr, dass Dagmar Hansen bereits in der vergangenen Nacht direkten Kontakt mit dem Blutsauger gehabt hatte. Es gab ihn also. Sie hatte auch versucht, eine Frau aus seinen Klauen zu befreien, aber dann hatte der Untote Hilfe erhalten, und als Harry weitersprach, bekam ich plötzlich große Ohren.
Ich ließ ihn zuerst ausreden und bat ihn dann, die Beschreibung der Frau zu wiederholen, die dem Untoten geholfen hatte.
Diesmal hörte ich noch genauer zu und konnte nur einen Satz zur Antwort geben:
»Das ist sie!«
»Wer?«
»Justine Cavallo!«
Harry schwieg. Nicht weil er so überrascht war, er musste erst nachdenken, denn dieser Name sagte ihm etwas. Das wusste ich sehr gut. Ich hatte meine Freunde vor der Frau gewarnt, denn niemand kannte ihre genauen Pläne, doch Harry schien der Name entfallen zu sein. Erst nachdem er einige Sekunden nachgedacht hatte, hörte ich wieder seine Stimme.
»Doch, John, da klickt etwas bei mir…«
»Sie ist mit Mallmann zusammen. Und beide stehen auch auf van Akkerens Seite.«
»Klar, jetzt fällt bei mir der Groschen. Klar, du hast mich ja gewarnt.«
»Und jetzt mischt sie mit!«
Während ich mit dem Telefonkabel spielte und es um meine Hand wickelte, hörte ich Harry einen leisen Fluch ausstoßen.
Dann flüsterte er etwas in den Hörer, was ich nicht verstand.
»Was meinst du?«
»Ausgerechnet jetzt bin ich abkommandiert worden.«
»Da mach dir mal keine Sorgen, Harry. Deine Dagmar steht ja nicht allein.«
»Zum Glück.«
»Okay, du weißt Bescheid, und wir beide werden unser Möglichstes tun. Ist sonst noch was passiert?«
»Nein, das andere reicht mir. Hoffentlich macht sie jetzt keinen Unsinn.«
»Hat sie dir denn gesagt, was sie vorhat?«
»Das ist es ja«, hörte ich ihn gequält antworten. »Sie hat mir nichts Konkretes gesagt. Sie wollte sich in der Stadt ein wenig umsehen. Da kannst du dann alles erwarten. Schließlich kenne ich ihren dicken Kopf. Die lässt sich durch nichts von irgendeinem Tun abhalten, darauf kannst du dich verlassen.«
»Ich werde sie ja gleich treffen. Bis später dann.«
Ich kannte Harry Stahl gut genug. Der machte sich nicht grundlos Sorgen, aber Dagmar Hansen war auch eine Frau, die sehr genau wusste, wie weit sie zu gehen hatte, und in der Nacht hatte sie nur das Vorhandensein des dritten Auges gerettet, sonst wäre sie einer Justine Cavallo nicht entkommen.
Ich konnte mich darauf gefasst machen, dieser zu begegnen.
Darauf freute ich mich nicht, denn bei den vorherigen Zusammentreffen hatten meine Chancen nicht allzu gut gestanden, und ich war ihr eigentlich nur mit viel Glück entkommen.
Jetzt allerdings fühlte ich mich stärker, denn ich besaß mein Kreuz, das man mir damals abgenommen hatte.
Ein Blick auf die Uhr machte mir klar, dass die Mittagszeit bereits angebrochen war. Im Western hätte man High noon gesagt, und mein Magen konnte eine Kleinigkeit vertragen.
Ich fuhr wieder nach unten und schaute mich in der sehr modernen Halle um. Man hatte in diesem Hotel zwar viel Marmor, Glas und Stahl verwendet, aber es war nicht kalt oder ungemütlich. Die schwarzen Sessel luden zum Verweilen ein, und auch die halbrunde Bar mit den bequemen Hockern war ein Ort, der mir gefallen konnte.
Essen konnte ich im Restaurant oder in der Bierstube, in der es Thüringer Gerichte gab. Ich entschied mich dafür, aber soweit kam es nicht, denn durch die Drehtür kam genau die Frau, auf die ich schon gewartet hatte.
Dagmar Hansen blieb an der Tür stehen, schaute sich um und sah mich winken.
»John!« Sie lachte. Wir liefen uns entgegen und fielen uns in die Arme. »Du hast es doch geschafft?«
»Warum nicht?«
»Heute weiß man ja nie.«
»Das stimmt.«
Dagmar trug einen hellen, recht kurzen Mantel, eine Hose und einen Pullover, beides in Beige.
»Ich hatte eigentlich vor, eine Kleinigkeit zu essen. Gehst du mit in die Bierstube?«
»Ja, da können wir uns dann auch unterhalten.«
»Wunderbar.«
Der Weg dorthin war recht lang. In der Zwischenzeit berichtete ich Dagmar davon, dass Harry bei mir angerufen hatte.
»Ach ja«, sagte sie und fuhr durch ihr Haar. »Der gute Harry. Er vergeht fast vor Sorge.«
»Nicht ganz unberechtigt, wenn ich daran denke, was dir in der letzten Nacht passiert ist.«
»Das weißt du auch schon?«
»Es ließ sich nicht vermeiden.«
»Okay, dann brauche ich ja nicht viel zu erklären.«
In der Schenke, die ebenfalls sehr gemütlich wirkte, konnten wir uns die Plätze
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