1233 - Der Kunst-Vampir
Tür und warf ihr gelbes Licht auf einen Teil des Pflasters.
Die Tür war verschlossen. Es steckte auch kein Schlüssel. Es hätte keinen natürlichen Grund für dieses Besuch gegeben.
Einleuchtend und logisch war er nicht.
Trotzdem hatte es Dagmar hingedrängt, da hatte sie einfach ihrem Gefühl nachgegeben.
Vor der Tür blieb sie stehen. Jemand hatte sein altes Fahrrad vergessen und es an der Hauswand abgestellt. Die Fenster des Ausstellungsraums zogen sich rechts von der Tür hin. Von dort konnte man all die Gegenstände überblicken, aber in der Dunkelheit war das schlecht möglich. Dagmar interessierte sich auch nur für ein besonderes Ausstellungsstück. Da sie schon mehrmals im Raum gewesen war, wusste sie sehr genau, wo der Kunst-Vampir stand. Nicht mal weit vom Fenster entfernt.
Man konnte ihn vom zweitletzten und auch vom letzten Fenster aus sehen. Dagmar stoppte vor dem zweitletzten.
Dagmar Hansen brachte ihr Gesicht dicht an die Scheibe.
Gegen die Resthelligkeit schirmte sie ihre Augen mit den angelegten Händen ab. So bekam sie den besten Blick bei diesen Bedingungen.
Zuerst sah sie nichts oder nicht viel. Es war einfach zu dunkel, aber es gab so etwas wie eine kleine Notbeleuchtung, und daran konnte sich Dagmar orientieren.
Das weiche Licht war vorhanden. Nur strahlte es an den meisten Gegenständen vorbei, aber die wenigen, die es berührte, waren schon zu erkennen. Auch das Ausstellungsstück, auf das es Dagmar ankam.
Sie sah den Vampir!
Er stand dort, wo er immer gestanden hatte. Starr, ein Mons trum, und von keinem anderen Ausstellungsstück abgelenkt.
Der Blick des Betrachters konzentrierte sich einzig und allein auf ihn.
Dagmar Hansen war keine Frau, die sich so leicht fürchtete.
Doch der Anblick dieses Monstrums jagte ihr schon einen Schauer über den Rücken. Es war zudem größer als ein normaler Mensch, und selbst in diesem schlechten Licht gab der kahle Kopf einen leichten Glanz ab.
War er tot? Lebte er? War er ein lebender Toter? War er wirklich in der Lage, die Ausstellung zu verlassen, um das nächtliche Weimar unsicher zu machen?
Es war alles möglich, wenn er denn zu den Blutsaugern gehörte. Doch den Beweis war er ihr bisher schuldig geblieben.
Den musste sie sich selbst holen.
Sie ließ den Kunst-Vampir nicht aus den Augen, denn sie hatte einfach das Gefühl, dass bald etwas passieren musste.
Es passierte auch etwas. Allerdings hinter ihr. Die Person musste auch weiche Sohlen unter den Schuhen haben, denn Dagmar nahm sie erst wahr, als sie dicht bei ihr war und sich räusperte.
Blitzschnell fuhr die rothaarige Frau herum. Diese Bewegung hatte auch den Mann erschreckt, der so starr auf dem Fleck stand, als hätte man ihn angenagelt.
»He, nicht so stürmisch, junge Frau…«
»Entschuldigen Sie, aber ich habe Sie nicht gesehen und erst sehr spät gehört.«
»Dabei wollte ich nicht mal schleichen, sondern nur mein Rad abholen, das hier steht.«
Dagmar musste lachen. Sie war auch erleichtert. In dieser Lage traf sie jede Überraschung doppelt so stark.
Der Mann war schon älter. Er ging bestimmt auf die siebzig zu. Er trug eine verschlissene Lederjacke, was im Licht der Außenlampe zu sehen war, ging jetzt zu seinem Rad und umfasste mit beiden Händen die Griffe der Lenkstange. Er zog das Rad von der Hauswand weg, stieg aber noch nicht auf, sondern nickte zum Gebäude und meinte: »Ganz schön schaurig, was da zusammengetragen wurde.«
»Das können Sie laut sagen. Waren Sie denn schon in der Ausstellung?«
Er warf den Kopf zurück und lachte. »Nein, war ich noch nicht. Dazu habe ich auch keine Lust. Ich mag so etwas nicht. Außerdem glaube ich nicht an Vampire. Sie denn?«
Dagmar hob die Schultern. »Es kommt darauf an.«
»Abends hat die Ausstellung geschlossen.« Er ging gar nicht auf ihre Antwort ein.
»Ich weiß.«
»Trotzdem sind Sie hier?«
»Mich interessiert eben, was hier in der Stadt alles so abläuft. Dazu gehört auch die Ausstellung. Und in der Dunkelheit sieht alles noch schauriger aus.«
»Da haben Sie Recht, junge Frau. Aber wie ich schon sagte, für mich ist das nichts.« Er schaute kurz gegen den Himmel und schnüffelte. »Ich denke, dass es sobald keinen Regen geben wird. Dann will ich mich mal auf die Reifen machen.«
»Tschüss.«
»Danke, schönen Abend.« Er stieg auf seinen alten Drahtesel und fuhr holpernd über das Pflaster hinweg auf die Einfahrt zu.
Sie drehte sich herum, weil sie wieder einen Blick in den Raum werfen
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