1241 - Der Mördermönch von Keitum
sein«, gab der Hotelier nach einer Weile zu. »Aber ich möchte da etwas einschränken. Es ist sicherlich kein normaler Killer oder Serientäter. Sonst hätten die Leichen nicht so schlimm ausgesehen. Etwas muss sie fürchterlich erschreckt haben.«
»Es waren nur Frauen - oder?«
»Ja, nur sie.«
»Meine Güte, wie kommt das?«
»Ich weiß es nicht. Leider nicht.«
Das wollte ihm Andy Brass nicht so recht glauben. Er schü ttelte den Kopf und fragte: »Haben Sie mir nicht von alten Sagen und Legenden berichtet, die auf Sylt noch immer so präsent sind?«
»Nun ja, was heißt präsent. Es gibt sie eben. Zwei Mal haben sie sich leider erfüllt.«
»Und jetzt?«
»Es ist schwer«, flüsterte Claasen.
»Soll das heißen, dass es trotz allem eine Sage gibt, die in dieses mörderische Schema hineinpasst?«
»Ich kann es mir denken.«
Andy Brass saß plötzlich wie auf heißen Kohlen. »Welche denn, Herr Claasen?«
»Es ist die Geschichte von einem verfluchten Mönch, der hier auf der Insel abgesetzt wurde. Sozusagen als Strafe. Er hat die Regeln gebrochen, zu denen er sich mal bekannt hat. Er war jemand, der die Frauen liebte und sie ent- und verführte. Mehr weiß ich darüber auch nicht.«
»Hat man sie denn nicht aufgeschrieben?«
Claasen schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls habe ich sie in keinem unserer Sagenbücher gefunden.«
»Und was ist mit anderen Bewohnern hier auf der Insel? Gibt es welche, die sich vielleicht besser auskennen?«
»Ich denke schon.«
»Dann müssen sie…«
»Nein, Herr Brass, nein. Das ist nicht Ihre Angelegenheit. Darum werde ich mich kümmern. Sie machen hier Urlaub. Außerdem haben Sie Familie. Vergessen Sie das nicht.«
»Keine Sorge, daran denke ich schon. Aber ich denke auch daran, dass zwei tote Frauen bereits gefunden wurden und man damit rechnen muss, dass auch eine dritte Frau, nämlich Nelly Becker tot aufgefunden werden kann. Das bereitet mir die größten Sorgen.«
»Noch ist es nicht soweit.«
»Ha. Ist das ein Trost, Herr Claasen?«
»Leider nicht.«
»Das denke ich auch.« Beide Männer schauten sich an.
»Wenn ich Sie mir so ansehe, Herr Claasen, habe ich das Gefühl, dass Sie bereits nach einer Lösung suchen.«
»Das stimmt.«
»Und welche? Wollen Sie mir das sagen?«
Der Hotelier hob die Schultern. »Aller guten Dinge sind drei. Ich denke, ich werde in London anrufen müssen, um einen Mann namens John Sinclair zu informieren. Ich weiß nicht, ob es ein Fall für ihn ist, aber es könnte einer werden…«
***
In der Nacht hatten die Wolken dem Wind getrotzt. Jetzt, am Tage, war das nicht mehr möglich. Da hatte er mit seinen gewaltigen Händen den Himmel fast frei geschaufelt und die grauen Riesen in Richtung Festland getrieben. Jetzt bedeckte ein winterliches Blau das Firmament, und sogar die Sonnes schickte ihren hellen Gruß auf die Insel.
Es war ein wunderbarer Tag, um spazieren zu gehen. Das hatte sich auch Susan Brass gesagt, ihren kleinen Max in den Buggy gesetzt, und war losgezogen in Richtung Watt.
Ihr Mann würde noch einige Zeit zu kämpfen haben, um die Normalität zurückzuerlangen. Wenn sie gegen Mittag zurückkehrte, war er bestimmt wieder okay.
Aber darum ging es Susan nicht. Sie dachte vielmehr an Andys Erlebnis in der vergangenen Nacht. Noch immer war sie sich nicht schlüssig, ob sie ihm nun glauben sollte oder nicht.
Was er erlebt hatte, war einfach zu unwahrscheinlich gewesen.
Zu unglaublich. Das nahm ihm niemand ab. Dieser Anblick eines von Würmern zerfressenen Gesichts einer normalen Frau konnte nur einem Albtraum entsprungen sein.
Stimmte das wirklich?
Noch glaubte sie es nicht. Susan kannte ihren Mann. Er war kein Spinner. Keiner, der sich in Büchern festbiss und Gruselgeschichten las und in der Nacht davon träumte. Andy stand mit beiden Beinen im Leben. Als Betriebswirt und Geschäftsführer eines großen Unternehmens musste das so sein. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, dass ihr Mann jemals Albträume oder unheimliche Erlebnisse gehabt hatte, denn in der vergangenen Nacht war er nicht von einem Albtraum gequält worden, sondern hatte unter einem echten Erlebnis gelitten.
Er hatte Nelly Becker gesehen.
Eine Frau, deren Gesicht aufplatzte, um widerlichen Würmern freie Bahn zu lassen.
Susan Brass schüttelte sich, als sie daran dachte. Es war schon schrecklich, wenn sie nur daran dachte. Sie mochte keine Würmer. Sie ekelte sich davor. Ebenso wie vor den Schleimspuren der
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