1246 - Die Opfergrotte
auch weiterhin Glück haben werden. Aber frage mal unseren Freund, wie lange wir noch zu fahren haben. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir gleich den Talgrund erreicht und haben sogar Glück, dass der Schnee weniger geworden ist. Gäbe es keine Kurven, hätten wir sogar Rennen fahren können.« Er lachte, was allerdings nicht echt klang.
Utrac hatte zugehört. Er räkelte sich auf dem Sitz, und die Fesselung schien ihm nichts auszumachen. »Keine Sorge, du wirst schon früh genug deinen Tod erleben, das schwöre ich dir.«
»Aber nach dir.«
De Salier stieß ihn an. »Wie weit müssen wir noch fahren?«
Utrac hob die Schultern. Er hatte wieder Oberwasser erhalten.
Das passte Godwin nicht. Während der Wagen langsam in die nächste Kurve gelenkt wurde, zog er seine Waffe und zielte auf den Kopf des Gefangenen. »Es würde mir nichts ausmachen, dir eine Kugel in den Schädel zu schießen. Das aber wäre für dich nicht gut, mein Freund. Dann würdest du enttäuscht sein, denn du wolltest doch erleben, wie wir sterben. Das kannst du dann nicht mehr.«
»Stimmt.«
»Und deshalb solltest du dir deine Antworten gut überlegen.«
»Verstanden.«
»Gut. Und wie weit ist es?«
»Wir müssen bald in einen anderen Weg hineinfahren. Er führt in ein schmales Tal.«
»Das ist doch was.«
»Aber es ist eng.«
»Zu eng?«
»Probiert es aus.«
De Salier wandte sich an Jorge. »Hast du zugehört?«
»Habe ich.«
»Und wie sieht es aus? Kennst du dieses Seitental oder den Weg?«
»Ist mir im Moment nicht klar. Wir waren ja nur darauf bedacht, so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen. Dabei sind wir nicht von der normalen Straße abgewichen.«
»Das ist verständlich.«
Die Fahrstrecke wurde etwas besser.
Sie führte nicht mehr so steil bergab. Der Weg war auch breiter geworden. Rechts und links schoben sich zwar die hohen Felswände in die Höhe, aber jetzt war auch Platz für einen Bergbach, der neben der Straße herschäumte. Wenn die Lichter der beiden Glotzaugen über die Wasserfläche und bis ans andere Ufer strichen, dann tauchten hin und wieder die an den Felsen hängenden Eiszapfen auf. Mit ihren unterschiedlichen Längen und Dicken wirkten sie oft wie stumpfe Messerklingen.
»Wann müssen wir abbiegen?«, fragte der Templer.
»Bald.«
»Genauer!«
»Wir müssen noch um einen Berg herum.«
Das mussten sie akzeptieren. Es gab eben nur Utrac, der sie zum Ziel führen konnte.
Sehr kalt und finster war es hier unten. Man konnte sich vorkommen wie von einer Welt verschluckt, die ihre Opfer nie mehr freigeben würde.
Auch der Himmel war kaum zu sehen. Es gab nur noch einen kleinen Ausschnitt, und da musste man schon genau hinschauen, wenn man ihn sehen wollte.
In der nächsten Kurve wäre es fast passiert. Eine glatte Stelle ließ den Wagen rutschen. Da lag plötzlich pures Eis als dicke Schicht auf dem Weg.
Der Wagen glitt zur Seite und zudem gefährlich nahe an den Bachrand heran. Jorge behielt die Nerven. Er bekam den Wagen durch leichtes Gegenlenken wieder unter Kontrolle, und dann hatten sie auch diese heimtückische Stelle hinter sich gebracht.
»Das war knapp.«
»Du bist ein guter Fahrer, Jorge.«
»Danke.« Er war ins Schwitzen gekommen und wischte über seine Stirn hinweg. »Aber immer möchte ich das auch nicht erleben!«, erklärte er.
Der Weg führte nicht mehr in Kurven weiter. Geradeaus schnitt er durch dieses schmale Tal, und an einer bestimmten Stelle richtete sich Utrac auf.
»Wir müssen gleich abbiegen.«
»Verstanden«, meldete Jorge.
Er kannte die Gegend hier zwar, aber auf die schmale Zufahrt in das Seitental hatte er nie geachtet, obwohl er und Sandro immer bei Tageslicht gefahren waren.
Sie rollten auf die Abbiegung zu. Dann zog Jorge das Lenkrad herum, und jetzt war ihm auch klar, weshalb ihm diese Stelle nicht aufgefallen war. Es hing mit den Bäumen zusammen, deren Wurzelwerk sich in den Fels gekrallt hatte. Eine Laune der Natur hatte die Zweige gedreht und sie weit nach unten hängen lassen. Zu dieser Jahreszeit hatten sie ihr Laub verloren, im Sommer nicht. Da waren sie dicht belaubt gewesen und hatten den Menschen die Sicht genommen.
Es war eine schmale Zufahrt. Der Wagen passte soeben hindurch, und dann wurde es gefährlich, denn die Schlucht war verdammt eng. Sie rollten in das düstere Loch hinein, das so aussah, als hätte es sich über ihnen geschlossen.
Es war kein Weg. Es war eine holprige Piste. Auch hier war Schnee gefallen. Allerdings nicht in
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