1252 - Spur in die Vergangenheit
denke, wir sollten uns zur Ruhe begeben und morgen zunächst nach Rennes-le-Château fahren.«
»Dagegen habe ich nichts«, sagte Suko. »Du, John?«
»Nein. Mir schwirrt auch der Kopf.«
»Dann nimm eine Flasche Wein mit auf dein Zimmer. Trink sie leer, und du wirst wunderbar schlafen.«
»Danke für den Vorschlag, Godwin, aber das schaffe ich zur Not noch ohne Alkohol.«
»Wie du meinst. Und wir werden sogar Glück mit dem Wetter haben, denn angeblich soll die Sonne scheinen.«
»Dann kann ja nichts mehr schief gehen«, meinte Suko und ging als Erster zur Tür…
***
Schlimm waren nicht so sehr der Hunger und der Durst, sondern viel mehr die Einsamkeit, die Julie Ritter erlebte. Ihr war kein Leid angetan worden, dennoch fürchtete sie sich. Sie gehörte zu den kommunikativen Menschen, die sich gern austauschten, doch das war in dieser Umgebung nicht möglich. Man hatte sie irgendwo in einen Keller gesperrt, in dem es nicht richtig hell aber auch nicht richtig dunkel war.
An einer Seite des Raumes sah die junge Frau die Umrisse eines Fensters. Es war keine Scheibe vorhanden, dafür fiel ihr Blick auf Gitterstäbe. Durch die Öffnung konnte die kalte Luft in das Verlies dringen, was Julie auch nicht gefiel.
Sie konnte auf einem Stuhl sitzen oder sich hinlegen. Ein schlichtes Metallbett mit einer feuchten Matratze luden dazu ein. Nur hatte die junge Frau bisher auf diese Einladung verzichtet Der Platz auf dem Stuhl reichte ihr aus Immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück. Die andere Seite jedenfalls hatte es geschafft. Es war ihr nicht möglich gewesen, sich zu wehren. Auch später nicht, nach der Landung. Da hatte sie in eine dunkle Limousine steigen müssen und war weggeschafft worden. Weg vom Flughafen, weg von der Stadt und hinein in eine Landschaft, von der sie in der Dunkelheit nichts gesehen hatte. Julie hatte sich auch keine Gedanken darüber gemacht, wie lange die Fahrt gedauert hatte. Irgendwann hatten sie ein Haus erreicht - oder war es eine Burg gewesen? -, dort hatte sie dann aussteigen müssen und war eine Treppe hinab in einen Keller gebracht worden, in dem sie noch jetzt hockte.
Ein Verlies. Vier Wände, eine schmale Tür, das vergitterte Fenster, die kärgliche Einrichtung. Keine Waschgelegenheit und auch keine Toilette.
Irgendwann war Julie eingeschlafen. Allerdings hatte sie nicht auf dem Bett gelegen, sondern ihren Platz auf dem Stuhl gefunden. Es war natürlich kein Tiefschlaf gewesen, nur ein Einnicken, aus dem sie immer wieder hochgeschreckt war.
Sie dachte daran, wer in ihr wieder geboren war. Und sie konnte nur den Kopf schütteln, wenn sie sich damit beschäftigte. Maria Magdalena war so etwas wie eine Königin gewesen. Eine in späteren Zeiten von vielen Menschen verehrte Heilige, die sicherlich auch Kraft, Mut und Ausdauer gehabt hatte.
Genau das fehlte ihr. Sie fühlte sich weder kräftig noch mutig. Und aus dauernd schon gar nicht.
Vielmehr hatte sie das Gefühl, ausgelaugt zu sein.
Mehr seelisch als körperlich.
Sie hätte viel für ein Glas Wasser gegeben. Das hatten ihre Feinde vergessen. Auch zu essen bekam sie nichts, und ihre einzige Hoffnung bestand darin, dem Licht zuzuschauen, das sich allmählich ausbreitete und den neuen Tag ankündigte.
Von außen her kroch die Helligkeit auf das Fenster zu. Sie drang in das Verlies hinein, und Julie entschloss sich, einen Blick nach draußen zu werfen. Sie wollte sehen, wie die Umgebung aussah.
Ob es einen Ort in der Nähe gab. Das brachte ihr zwar auch nichts ein, aber es war besser, als nur die kahlen und feuchten Wände anzustarren.
Sie brauchte nur zwei Schritte bis zum Fenster. Allerdings lag es für einen normalen Blick zu hoch.
Deshalb musste sie die Stangen umfassen, um sich dann hoch zu ziehen.
Sie sah etwas, aber sie schaute auch ins Leere. Der Tag begann sogar recht freundlich. Die Sonne schickte ihre blassen Strahlen über ein winterlich karges Land, auf dem kein einziges Gebäude zu sehen war. Aber das Land war auch nicht nur flach. So sah sie Hügel und Mulden. Beide zusammen bildeten so etwas wie ein starres Meer. Darüber lag der mit nur von wenigen Wolken bedeckte Himmel. Er zeigte eine schon fast frühlingshafte Bläue, und als Julie diesen Ausschnitt sah, da konnte sie wieder lächeln. Es war das erste Lächeln seit ihrer verdammten Gefangenschaft.
Sie sah Vögel durch die Luft fliegen und beneidete die Tiere wegen ihrer Freiheit. Ob man ihr dieses höchste menschliche Gut je wieder zurückgeben
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