1252 - Spur in die Vergangenheit
Maul war geschlossen, es war strichdünn, aber zu einem widerlichen und faunischen Grinsen verzogen. Über dem Maul sah sie eine klumpige Nase und in der oberen Hälfte des Gesichts zwei Augen, von denen ein so kaltes Licht abstrahlte, dass sie von künstlichen Augen ausging. Eine breite und glatte Stirn. Keine Haare auf dem Kopf, nur leicht struppige Haare am Kinn.
Eines allerdings trat besonders deutlich hervor. Von der Stirn weg reckten sich zwei gewaltige Hörner, die Julie an erstarrte Aale erinnerte. Sie waren gebogen und glänzten leicht im Feuerschein.
Julie wollte nicht zittern, es kam einfach über sie. Auch hatte sie für einen Moment den Eindruck, als wären ihr die Beine unter dem Boden weggezogen worden.
Niemand sprach sie an. Man ließ ihr Zeit, dieses Monstrum genauer anzuschauen, und für Julie war es einfach nur ein Götze, der von van Akkeren und den anderen angebetet wurde.
Für sie brach fast ein Weltbild zusammen. Welche Menschen beteten so etwas an? Die konnten nicht richtig im Kopf sein. Die waren irgendwie verloren und…
Sie dachte nicht mehr weiter, denn sie musste zugeben, dass auch sie nicht unbeeindruckt blieb.
Diese Figur hatte etwas. Sie konnte es nicht erklären, aber es stimmte schon. Von ihr ging etwas aus, das auch sie in den Bann zog.
Lag es an den Augen?
Als Julie daran dachte, konzentrierte sie sich darauf, und sie musste zugeben, dass die Augen sie in ihren Bann schlugen. Sie waren etwas Besonderes. Sie strahlten das Böse ab, und genau darin lag auch eine Faszination.
Julie schauderte zusammen. Verschiedene Gedanken drangen durch ihren Kopf, und sie kam plötzlich zu einem für, sie erschreckenden Ergebnis. Es konnte sogar sein, dass die Gestalt auf dem Thron nicht tot war, sondern lebte.
Sie schüttelte sich bei diesem Gedanken, und sie fragte sich auch, was der Umhang verbarg. Welcher Körper gehörte zu einem derartigen Kopf? Selbst in ihren kühnsten Vorstellungen konnte sie sich keine Antwort geben.
Das war der Dämon, das war auch das Tier. Und es bewies seine Macht, denn dazu brauchte es Julie nur anzuschauen. Kalte Karfunkelaugen schienen durch den Blick Julies Seele zerschneiden zu wollen. Sie begann zu zittern, aber sie schaffte es einfach nicht, den Kopf so zur Seite zu drehen, dass sie diesem Blick hätte ausweichen können. Er hielt sie in seinem Bann.
Noch immer zweifelte sie daran, ob der Götze lebte oder einfach nur eine Figur war. Wenn er lebte, dann war es ein besonderes Leben, eingehaucht durch den Atem der Hölle.
Irgendwann schaffte es auch Julie Ritter, sich von dem Anblick dieser Gestalt zu befreien. Sie hörte sich noch einmal selbst atmen, und erst dann fiel ihr auf, wie still es um sie herum war. Auch ihre Bewacher meldeten sich nicht. Sie standen noch in der Nähe, denn Julie hatte sie nicht weggehen hören.
Plötzlich wurde die Stille unterbrochen!
Es war kein Knall, keine Explosion, auch kein Schrei oder der Klang einer Stimme. Es war einfach nur das harte Auftreten von Füßen, die zudem Echos hinterließen.
Julie hörte die Echos, aber sie wagte es nicht, sich von der Stelle zu rühren. Ein Schauer nach dem anderen rann über ihren Rücken hinweg, und erst als einige Sekunden verstrichen waren, drehte sie den Kopf nach rechts, denn aus dieser Richtung war das Geräusch an ihre Ohren gelangt.
Trotz der Fenster war das Feuer im Kamin die eigentliche Lichtquelle in diesem großen Raum, denn vor den Fenstern hingen dünne, schlaffe Vorhänge. Sie musste schon den Kopf nach rechts drehen, um zu sehen, wer sich ihr näherte.
Sie tat es - und erschrak nicht mal. Irgendwie hatte sie damit gerechnet, dass ein gewisser Vincent van Akkeren zu ihr kommen würde. Er tat es mit gemessenen Schritten, die zwar einen Widerhall erzeugten, aber er ging nicht wie ein Soldat. In dieser Umgebung kam ihr der Mann wie ein König vor.
Sein Gesicht hob sich von der dunklen Kleidung ab. Für einen Moment glaubte sie, dass es an verschiedenen Stellen dunkel angemalt war, denn es gab die Kontraste zwischen Hell und Dunkel. Das Haar auf dem Kopf stand etwas hoch, war aber dann nach hinten gekämmt worden. Die dunklen Augen ließen Julie nicht aus dem Blick, und erst dicht neben ihr blieb van Akkeren stehen.
Er schaute sie an.
Julie senkte den Kopf. Sie wollte ihn nicht sehen und auch nicht den Kopf drehen. Als sie den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter spürte, zuckte sie zusammen, ging aber nicht zur Seite.
»Du kennst ihn, Julie?«
Sie schüttelte
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