1255 - Böser schöner Engel
fielen die Schwingen wieder zusammen, und zurück blieben die gleichen Gebilde, die beide Frauen schon zuvor gesehen hatten.
Tamara kümmerte sich auch weiterhin nicht um das kranke Kind. Sie drehte sich auf der Stelle hin und her. Abermals wurden die Zuschauerinnen an die Bartänzerinnen erinnert, von denen es verdammt viele in der großen Stadt gab.
Plötzlich wirbelte sie herum!
Die alte Ärztin schrie unwillkürlich auf, weil sie an einen Angriff dachte, der passierte nicht, denn Tamara wollte sich den Frauen nur von vorn zeigen.
Ihre Brüste waren rund und fest. Vorn schimmerten die rosigen harten Warzen, doch das interessierte die Zuschauerinnen nicht, denn etwas anderes war wichtiger.
Sie hatten gesehen, dass an der Rückseite des Halses ein dunkles Band einen Teil der Haut verdeckt hatte. Es war nur ein Teil dieses Schmucks, denn der wichtigste Teil hing an der Vorderseite herab.
Es war ein recht breites schwarzes Lederband, das seinen Weg genau im Tal zwischen den beiden Brüsten gefunden hatte.
Das Band allein hätte keinen gestört. Es war sein sonstiges Aussehen, sein makabrer Schmuck.
Vom Hals bis hin zum Bauchnabel reichte das Band, und es war tatsächlich mit fünf bleichen Totenköpfen verziert. Auch die Seiten waren bestückt. Wie Federn verteilten sich von oben nach unten kleine weiße Stäbe, die aussahen wie angespitzte Knochenstücke.
Tamara bewegte sich nicht mehr. Sie ließ es zu, dass sie angeschaut wurde, und sie genoss es sogar, denn sie lächelte. Das kranke Kind blieb ruhig, aber auch die Frauen wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
Bis es Tamara nicht mehr passte und sie das Schweigen unterbrach. »Ihr habt mich gerufen, und ich bin gekommen. Der Engel ist immer da, wenn man ihn braucht. Und das werde ich euch beweisen.«
Sie schaute Svetlana direkt an. »Du willst deine Tochter wieder gesund sehen? Ist das dein großer Wunsch?«
»Ja. Das will ich.«
Tamara lächelte hintersinnig. Dabei glitten ihre Finger über die Totenschädel auf dem Lederband hinweg. Die anderen beiden Frauen konnten einfach nicht vorbeischauen. Es war etwas Unheimliches.
Es lief ihnen einfach quer. Sie mussten das Gefühl bekommen, dass Tamara und sie Welten trennten.
Niemand von ihnen wäre auf den Gedanken gekommen, sich einen derartigen Schmuck anzulegen.
»Ich werde es machen«, flüsterte Tamara, und ihre Stimme klang dabei so klar. »Aber alles hat seinen Preis.«
Svetlana war klar, dass es auf der Welt nichts umsonst gab. Das Paradies war noch nicht erfunden worden, und die Frau war auch bereit, alles zu geben, was sie konnte. Wichtig war nur, dass ihre Tochter das Leiden hinter sich ließ.
»Was soll ich denn geben?«
»Später, gute Frau.«
Svetlana schluckte. Sie nickte dann. Allem wollte sie zustimmen. Nur nicht dafür sorgen, dass der Helfer wieder verschwand. Auch jetzt konnte sie es kaum glauben, dass ausgerechnet die Person ihre Wohnung besucht hatte, die so berühmt war und die man oft nur aus dem Fernseher kannte.
Die Mutter riss sich zusammen, um eine Frage stellen zu können. »Bitte«, sagte sie, »bitte. Ich möchte… ich… möchte fragen, ob ich dabei sein kann. Zuschauen - bleiben und…«
Tamara winkte ihr zu. »Sicher kannst du bleiben. Es ist sogar wichtig, wenn die Mutter bei der Tochter ist. Wir alle wollen doch, dass es zu einer perfekten Heilung kommt. Niemand soll mehr weinen. Du nicht und auch nicht deine Tochter. Ich spüre, dass ich die Krankheit heilen kann. Jamina steckt in einer Krise, aber sie wird es schaffen. Sie ist stark genug, das spüre ich. Auch das Fieber ist bereits zurückgegangen. Wir können es versuchen. Sie wird ihre Schwäche und ihre Lethargie verlieren, wenn ich ihr das alte und das neue Leben eingehaucht habe. Sie muss wieder von vorn beginnen können.«
Es waren Worte, die Svetlana aufsaugte wie ein trockener Schwamm das Wasser. Sie taten ihr gut.
Sie bauten sie wieder auf, und auch die neben ihr stehende Ärztin zeigte ein zufriedenes Lächeln, denn das lag genau auf ihrer Wellenlänge.
»Komm trotzdem etwas zurück, Svetlana. Ich denke, dass unsere Freundin Platz braucht.«
»Natürlich.«
Beide Frauen schufen eine gewisse Distanz, um Tamara die nötige Bewegungsfreiheit zu erlauben.
Sie drehte sich jetzt von den Zuschauerinnen weg, um sich dem Bett zuzuwenden. Durch die neue Haltung war wieder ihr Rücken zu sehen. Allerdings nicht in voller Breite. Sie schauten von der Seite auf sie und dort malten sich die beiden
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