1255 - Böser schöner Engel
bei großen Fledermäusen. Da spannte sich ein hauchdünnes Material zwischen den dünnen, knochenartigen Stangen, die das Material fest hielten. Es besaß einen graugrünen Farbton, und mit einem lockeren Zucken breiteten sich die Flügel oder Schwingen für einen Moment hinter dem Rücken der Frau aus, als wollten sie dort ein Zelt bilden.
Es war nur eine kurze Demonstration, doch sie hatte beide Zeuginnen stumm werden lassen. Die Frauen waren sprachlos.
Tamara aber lächelte. Sie legte den Kopf schief und bewegte ihn, sodass ihre Haare wuselten. »Was schaut ihr so?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Habe ich etwas an mir?«
Svetlana schüttelte den Kopf. »Nein, du hast nichts an dir, das sehe ich. Du siehst so aus wie immer. Aber ich kann es nicht fassen.«
»Was?«
»Dass du wieder da bist.«
»Das musste ich doch. Ich habe mein Ziel erreicht. Deine Tochter ist so gesund, wie sie es zuvor gewesen ist. Nichts fehlt ihr mehr. Du kannst sie untersuchen lassen. Es ist alles wieder normal. Und genau das hast du gewollt.«
»Ja, das habe ich. Danke.«
»Nein, nein, ich habe zu danken!«
Svetlana schaute sie beinahe um Hilfe suchend an. »Aber ich weiß nicht, wie ich es tun soll, verstehst du? Ich möchte dir so gern danken, doch…«
»Keine Sorge, ich begreife dich. Und einen Dank hole ich mir immer zurück.«
»Ja? Wie denn?«
»Das ist ganz einfach, meine Lieben. Ich habe viel Energie verloren. Meine Lebensenergie, und die muss ich mir einfach zurückholen. Ich will ja so bleiben wie jetzt. Könnt ihr das verstehen?«
Die Frauen blickten sich an. Als wäre es zwischen ihnen abgesprochen worden, zuckten sie gleichzeitig mit den Schultern.
Die Ärztin fand die Sprache zuerst wieder. »Sollen wir beide für dich etwas tun?«
»Nein, nicht ihr beide. Eine von euch reicht.« Tamara klärte sie nicht weiter auf. Sie ging mit kurzen Schritten auf ihren Mantel zu und blieb davor stehen.
»Dann sag es doch!«, forderte Svetlana sie auf.
»Nein, nein! Sie soll es nicht sagen! Bitte nicht! Es… es ist so grausam.«
Das Mädchen hatte sich aufgerichtet und die Sätze gerufen. Jamina schaute aus weit geöffneten Augen entsetzt auf die kleine Gruppe. Sie schüttelte heftig ihren Kopf, und aus ihren Augen rannen Tränen. »Nichts sagen, das will ich nicht. Lasst es. Bitte, lasst es. Rennt weg. Lauft so schnell ihr könnt. Ihr kennt sie nicht, aber sie ist in mir gewesen. Ich weiß, dass sie schlecht ist. Ich weiß es genau, weil ich sie eben so gespürt habe, verdammt!«
Sie konnte nicht mehr sprechen, denn das letzte Schreien hatte sie angestrengt. Sie ließ sich zurückfallen und atmete heftig durch den offenen Mund. Schweiß und Tränen vermischten sich auf ihrem Gesicht, und sie bot einen bedauernswerten Anblick, den die Mutter nicht länger ertragen konnte.
Sie lief zum Bett, setzte sich auf die Kante, beugte sich über das Gesicht ihrer Tochter und strich mit den Handflächen an ihren Wangen entlang.
»Du musst dich beruhigen, mein Schatz. Bitte, du musst jetzt die Nerven bewahren.«
»Aber es ist so«, jammerte das Kind. »Ihr wisst doch nichts. Ihr seid ahnungslos. Aber ich weiß alles. Ja, ich weiß alles. Ich habe sie erlebt, sie ist grausam.«
Svetlana nickte ihr zu, als wollte sie ihre Worte bestätigen. Aber das tat sie nicht wirklich, denn innerlich dachte sie anders über ihre Tochter.
»Ich weiß, dass du etwas erlebt hast, wobei wir nicht mitreden können, meine Kleine. Das ist uns schon klar. Aber Tamara hat dich gesund gemacht. Ja, dich, mein Schatz. Hast du das vergessen?«
»Nein.«
»Dann begreife ich deine Reaktion nicht.«
»Ich kenne sie wirklich.«
»Und?«
»Sie ist schlecht. Sie ist kein Engel. Sie ist grausam. Ich habe sie in mir gespürt, und es waren auch ihre Gedanken da. Sie will nicht nur heilen, sondern auch töten.«
Jetzt war es heraus, und Svetlana saß für einen Moment unbeweglich auf der Bettkante. Das Blut schoss ihr in den Kopf. Sie konnte nicht nachvollziehen, was das Mädchen ihr da mitgeteilt hatte. Es war einfach zu schrecklich und auch nicht zu begreifen. Da sollte jemand einen anderen Menschen töten, nur weil er zuvor einen geheilt hatte?
Das überstieg das Begriffsvermögen der Frau bei weitem. Und sie wollte es ihrer Tochter auch sagen, die sie allerdings nicht dazu kommen ließ und wieder flüsternd und hektisch von einer schnellen Flucht sprach, denn nur sie könnte noch helfen.
Svetlana hatte sich wieder gefangen. »Ich denke, dass wir
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