1255 - Böser schöner Engel
später noch mal darüber reden werden. Du solltest jetzt…«
Jamina ließ ihre Mutter nicht ausreden. »Später ist zu spät«, sagte sie hastig, »das weiß ich und…«
»Deine Tochter hat Recht!«
Der laut und mit hart klingender Stimme gesprochene Satz ließ Svetlana erstarren. Jetzt sah sie wieder wie eine zu Stein gewordene Frau aus.
Der Zustand dauerte bei ihr nur wenige Sekunden an. Um Tamara sehen zu können, musste sie den Kopf nach rechts drehen, was sie auch mit einer sehr gemächlichen Bewegung tat.
Die Heilerin stand dort wie eine Siegesgöttin. Sie hatte eine leicht breitbeinige Stellung eingenommen.
Die Ärztin beobachtete sie vom Fußende des Bettes aus.
»Es stimmt, was deine Tochter gesagt hat.«
»Wie… wieso?«
»Ich habe sie geheilt. Das hat mich sehr viel Energie gekostet. Ich bin schwächer geworden. Und diese Energie muss ich mir zurückholen. Von einer von euch beiden.«
Svetlana schaute die Ärztin an. »Was hat sie da gesagt? Energie zurückholen?«
»Ja, das habe ich gehört. Aber das verstehe ich nicht so ganz. Wirklich nicht.«
»Dann will ich Klartext reden«, erklärte Tamara. »Sucht es euch aus. Aber eine von euch muss sterben…«
***
Es war kalt in Moskau. Das merkte ich wieder, als ich den grauen Bau verließ. Ein Wagen stand für uns bereit. Er parkte auf einem engen Hinterhof, in dem noch einige Schneereste klebten, der aber vom Licht der Sonne kaum erwischt wurde.
Karina Grischin ging neben mir her und lenkte ihre Schritte auf einen alten und noch eckigen Mercedes Diesel zu, der schwarz wie die Nacht war.
»Fährt der denn noch?«, fragte ich.
»Und ob. Der ist super, John.«
»Und woher habt ihr ihn? Vom Schwarzmarkt?«
»Ich bitte dich.« Sie warf mir einen bösen Blick zu. »Den hat Wladimir Golenkow besorgt. Aus irgendeiner Konkursmasse. Da er den Wagen heute nicht braucht, können wir ihn nehmen. So einfach ist das.«
»Ich bin gespannt.«
»Sollst du auch sein.«
Gespannt war ich auch auf diesen Sandor Maremkin. Er gehörte also zu den Typen, die nach der Auflösung des sowjetischen Reiches zu Macht und Einfluss gekommen waren. Und er zählte auch dann zu denjenigen, die dafür gesorgt hatten, dass Moskau nicht eben den besten Ruf hatte, weil es zu viele Menschen gab, die auf der falschen Seite des Gesetzes standen und im internationalen Geschäft des Verbrechens mitmischten.
Das kannte ich auch von London her, als dort noch Logan Costello das große Sagen gehabt hatte. Er hatte sich mit schwarzmagischen Mächten verbündet, und Karina hatte sogar mal als Leibwächterin bei ihm gearbeitet, wobei wir uns kennen gelernt hatten.
Costello hatte übertrieben. Er war zu einem Vampir geworden, den wir aus dem Weg geschafft hatten.
»Woran denkst du, John?«
»An London.«
»Ist es dort besser?«
Ich zuckte die Achseln. »Kann ich nicht sagen, es hat mehr geregnet. Hier ist es kalt und manchmal scheint sogar die Sonne. Da kann ich mich eigentlich nicht beklagen.«
»Stimmt.« Sie fuhr jetzt schneller, denn wir hatten eine der breiten Straßen erreicht. Der alte Diesel tuckerte, doch er tat seine Pflicht, nachdem er sich warmgelaufen hatte.
Ich schaute zu den Bäumen hin, die keine Blätter besaßen und so starr wirkten. Der Himmel zeigte ein weiches Blau. Nur einige Wolken sprenkelten ihn. Vor den Auspuffen der Wagen hingen die nebligen Fahnen wie dichte Wattebäusche.
»Wie gut kennst du den Mann?«, wollte ich wissen.
Karina Grischin lachte. Ihr Gesicht erhielt dabei einen mädchenhaften Ausdruck. »Gut kann man nicht sagen. Ich hatte einige Male mit ihm zu tun.«
»Er weiß demnach von deinem Job?«
»Das allerdings. Nur weiß er nicht, dass ich mich auch mit anderen Dingen beschäftige, die es offiziell nicht gibt. Er weiß, dass ich für die Regierung tätig bin, und dabei soll es auch bleiben.«
»Okay. Wie stellst du mich vor?«
»Als Kollegen aus dem Westen.«
»Das wird er akzeptieren?«
»Klar. Außerdem werden wir ihn weniger nach seinen Geschäften fragen, sondern mehr nach seinem persönlichen Befinden, und damit kommen wir dann zum Thema.«
»Wie du willst.«
»Ich muss wohl wollen«, erwiderte sie lachend.
Moskau ist eine große Stadt. Das merkte ich auch jetzt. Wir brauchten einige Zeit, bis wir den inneren Ballungsraum verlassen hatten. Allerdings fuhren wir nicht den Trabantenstädten entgegen, sondern hielten Kurs auf ein Gebiet, in dem die Menschen lebten, die es zu etwas gebracht hatten und sich ihre entsprechenden
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