1255 - Böser schöner Engel
Mensch, der sie immer gewesen ist. Wir beide haben gesehen, wie der Geist in sie eindrang. Wie sie den anderen Körper verschlang. Es geht ihr auch besser, aber ich möchte sehen, wie der Geist wieder aus ihr hervortritt, verstehst du jetzt?«
»Ja, das ist wohl wahr. Ich kann dich auch begreifen, denn du bist die Mutter.«
Svetlana deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Tochter. »Ich bin davon überzeugt, dass er noch in ihr ist. Das lasse ich mir auch von keinem ausreden.«
Die Ärztin nickte. »Ja«, sagte sie leise, »ich kann dich sogar verstehen. So muss eine Mutter denken. Aber bei mir ist das etwas anderes. Ich bin nicht so persönlich betroffen.«
»Du kannst ruhig gehen. Ich bleibe. Ich werde mich um Jamina kümmern. Ich wache an ihrem Bett und…«
»Nein, ich gehe nicht.«
»Warum nicht.«
»Schau mal auf deine Tochter!«
Svetlana drückte den Kopf vor. Sie runzelte die Stirn, da sie im ersten Augenblick nichts sah. Doch dann entdeckte sie den feinen Schleier über dem Gesicht des Kindes.
Sie atmete tief ein. Plötzlich stand sie wieder unter Strom, weil da etwas passierte, das sie nicht nachvollziehen konnte. Es war einfach grausam und faszinierend zugleich.
Jaminas Gesicht verzog sich wie unter starken Schmerzen leidend. Sie riss den Mund auf, sie stöhnte die beiden Frauen an. Sie begann zu zittern, und ihre Zähne schlugen dabei aufeinander.
Die Geräusche waren nicht zu überhören, aber darum kümmerten sich die Frauen nicht, denn sie beobachteten etwas ganz anderes.
Die Rückkehr der Heilerin!
Wenn eine von ihnen bis zu diesem Zeitpunkt nicht an andere Mächte oder Magie geglaubt hatte, so änderte sich das nun radikal, denn aus dem normalen menschlichen Körper trat oder wehte ein geisterhaftes Etwas hervor, das keine Konturen besaß und als eine amorphe Wolke angesehen werden konnte. Es schwebte über dem gesamten Körper und auch über dem verzerrten Gesicht, das sich allerdings immer mehr entspannte, je mehr von diesem Etwas den Körper verließ. Es drang aus allen Poren. Es bildete Wolken, die sich in die Länge zogen, und mit vergehender Zeit verlor es allmählich auch seine Blässe.
Svetlana konnte nicht mehr auf ihrem Stuhl sitzen bleiben. Sie schnellte dabei in die Höhe. Der Stuhl kippte um.
Es war nicht neu für die beiden Zuschauerinnen, doch beim ersten Mal waren sie überrascht worden und hatten sich nicht darauf einstellen können. Das verhielt sich jetzt anders.
Sie schauten gebannt zu. Noch immer entließen die Poren der Haut des Mädchens diese sehr feinstoffliche Gaze, die sich nicht nur über dem Körper verteilte, sondern sich auch neben ihm ausbreitete und von verschiedenen Stellen aus zusammenfloss.
Die Ärztin traf mit ihren flüsternd gesprochenen Worten genau ins Schwarze. »Da baut sich etwas auf. Ja, da baut sich etwas auf. Sie kehrt zurück. Sie ist bald wieder da. Sie war ein Mensch, dann ein Geist, und jetzt wird sie wieder zu einem Menschen. Das ist… Himmel!«, sie verdrehte die Augen und schaute gegen die Decke, »das ist ein großes Wunder.«
Svetlana sagte nichts. Sie war dazu einfach nicht in der Lage. Aus leicht zusammengekniffenen Augen beobachtete sie die weiteren Vorgänge. In diesem unerklärlichen Spiel war ihre Tochter nicht mehr der große Mittelpunkt, jetzt hatte sie nur noch Augen für die andere Person, die bereits eine gut erkennbare Gestalt angenommen hatte und sich nun zu ihrer vollen Größe aufrichtete.
Sie verwandelte sich zurück. Sie wurde tatsächlich wieder zu einem Menschen mit normalem Körper.
Es gab wieder Haut. Es gab Fleisch und Blut. Es gab den nackten Körper und den Schal mit den Totenköpfen darauf, denn alles war wieder so normal wie zuvor geworden.
Das hellblonde Haar, das runde nette Puppengesicht, der Mund, der zu einem Lächeln verzogen war, und diese klaren Augen, die schon mehr an Kristalle erinnerten.
»Nein!«, stöhnte Svetlana. »Das ist nicht wahr. Ich… ich irre mich…«
»Aber warum denn?«, hörte sie die lockere Stimme der Heilerin. »Warum denkst du das?«
»Ich kann es nicht sagen. Ich will es nicht glauben. Das geht mir gegen den Strich oder sonst…«
»Ich bin es wirklich.«
Um das zu beweisen, drehte sie sich einmal locker um die eigene Achse. Diesmal stachen die beiden »Fächer« zwar vom Rücken her ab, aber sie waren nicht so stark zusammengepresst, sondern etwas auseinander gefächert.
Nein, kein Fächer!
Dafür dunkle seltsame Schwingen. Fast vergleichbar wie
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