1263 - Das Wissen der Toten
Furcht mehr zu haben brauchte. Die Hilfe erreichte sie aus einer anderen Welt. Als sie sich mit diesem Gedanken vertraut gemacht hatte, schaute sie fast interessiert zu, was noch passieren würde.
Es war Radbone nicht möglich, sich zu bewegen. Er sah aus wie eingefroren. Selbst der weit offen stehende Mund schloss sich nicht mehr.
Alexa wollte ihre Rache. Eigentlich war sie nicht der Typ dafür, aber jetzt begann sie zu lachen. Es klang glucksend, und es kam ihr vor, als würde nicht sie selbst lachen, sondern eine andere Person.
Etwas steckte in ihr. Etwas Böses, und sie fühlte sich auch stark.
Noch immer standen die beiden allein auf dem Weg. Es war niemand da, der sie beobachtete. Alexa spürte einen übergroßen Druck in sich, der einfach rausmusste.
»Warum sagst du denn nichts, Großmaul?«, fuhr sie Radbone an. »Los, rede! Sollte ich nicht meine Brille abnehmen, damit du mich mal anders sehen kannst? Hier - hier hast du es!« Sie riss sich die Brille so heftig von der Nase weg, dass beinahe der Bügel an der rechten Seite verbogen wäre.
Dann starrte sie den Bewegungslosen aus der Nähe an. Hätte er normal reagiert, hätte er ihre Augen sehen können, die eine blaugraue Farbe aufwiesen.
Aber er sah es nicht. Und sollte er es trotzdem mitbekommen, so zeigte er keine Reaktion.
Alexa setzte ihre Brille wieder auf. Endlich konnte sie ihn wieder deutlicher sehen. Seine Gesichtszüge wurden scharf, und sie entdeckte auch den schmerzvollen Ausdruck darin, der sich ebenfalls nicht veränderte und auch wie festgemauert wirkte.
Schmerzen - ja, er musste unter Schmerzen leiden. Aber er konnte sein Leid nicht herausschreien, und das war das Schlimme daran. So konnte es sein, dass er an seinen eigenen Gefühlen regelrecht erstickte.
Alexa betrachtete Slim Radbone mit einem kalten Blick. So wie er sich verändert hatte, war auch mit ihr eine Veränderung passiert. Sie war nicht mehr die graue Maus, sondern jemand, dessen Gefühle verändert worden waren.
»Nie mehr!«, flüsterte sie ihm zu.
»Nie mehr wirst du mir zu nahe kommen, du Dreckskerl…« Sie lachte rau. Sie schüttelte den Kopf, und in ihrem Innern kochte es.
Dann stieß sie ihn an.
Und plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie hatte dem Mitschüler, der ein Jahr älter war als sie, nur einen kleinen Schubs gegeben. Die Wirkung aber war frappierend, denn er bewegte sich rückwärts, als hätte er einen Schlag mit einem Knüppel eingefangen. Dass seine Füße noch Kontakt mit dem Boden behielten, kam schon einem kleinen Wunder gleich. Er war auch nicht mehr in der Lage, sich zu fangen.
Das letzte Stolpern geschah über die eigenen Beine. Dann fiel er nach hinten, als hätte man ihm die Füße weggetreten, und er landete rücklings auf seinem Bike.
Beide Gewichte hielt die Bank nicht aus. Sie war noch nicht einbetoniert worden, erhielt einen Schlag, der sie zurückkatapultierte, sodass sie auf den Boden stürzte, und Radbone schaffte es nicht mehr, irgendwo Halt zu finden, denn zusammen mit seinem Bike rutschte er sogar noch über die Rückenlehne hinweg, um auf dem Bauch liegen zu bleiben, ohne sich zu rühren.
Alexa Jenkins atmete tief aus. Sie fühlte sich plötzlich gut, zudem hörte sie noch die Stimme in ihrem Kopf.
»Du bist gut gewesen, Alexa. Sehr gut…«
»Peter?«, fragte sie halb laut.
Sie hörte nur noch sein Lachen. Sekunden später war es verklungen, und Alexa stand wieder mutterseelenallein vor der umgestürzten Bank, dem Bike und ihrem Schulkollegen.
Hätte sie keine Brille getragen, so hätte sie sich wohl verwundert über die Augen gerieben, so aber schaute sie auf den liegenden Jungen und sah erst jetzt, dass er verletzt war, denn die Wunde befand sich an der linken Wange und zog sich zudem noch hin bis zu seiner Stirn. Er musste sie sich beim Aufprall geholt haben.
Aber warum war er gefallen?
Alexa dachte darüber nach. Ihr kam auch in den Sinn, dass es mit ihr zu tun gehabt haben musste, doch an Einzelheiten erinnerte sie sich nicht mehr.
Plötzlich wollte sie nur noch nach Hause. Diesen Vorsatz setzte sie sofort in die Tat um. Dass Slim Radbone hinter ihr bewusstlos zurückblieb, kümmerte sie nicht mehr…
***
Alexa Jenkins war heilfroh, als sie ihr elterliches Haus erreichte. Auf dem Rest der Strecke hatte sie sich stets nach einem Verfolger umgeschaut, aber Radbone war ihr nicht gefolgt, und das sah sie als sehr positiv an.
Obwohl sie seinen Anblick auch nicht vergessen konnte. Sie hatte ihn zusammen mit
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