1263 - Das Wissen der Toten
eigentlich nicht in Alexas Kopf, weil es dafür keine rationale Erklärung gab. Sie wusste auch nicht, woran der Junge gestorben war, aber dass er ihr Auskünfte geben konnte, das war wirklich ein starkes Stück, über das sie am besten nicht mit anderen Menschen sprach, denn die hätten sie nur für geistesgestört gehalten.
Aber das war sie nicht. Sie hatte sich nur verändert, und sie hatte auch bei der letzten Begegnung gespürt, dass der Kontakt zwischen ihnen beiden intensiver geworden war. Als hätte sich die Brücke gefestigt, über die er bald gehen würde, um seine Welt der Toten zu verlassen, damit er in die der Lebenden eintauchen konnte.
So etwas war einfach phänomenal, aber Alexa wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Denn was da eventuell auf sie zukam, war unheimlich und unfassbar.
Sie dachte an einen Film mit Bruce Willis in der Hauptrolle. Da hatte er einen Toten gespielt, der auch in die Welt der Lebenden zurückgekehrt war, um noch seine letzte Aufgabe erledigen zu können. Hatte Peter etwas Ähnliches vor?
Die Stimme des Lehrers brachte Alexa Jenkins wieder zurück in die Wirklichkeit. Der Mann mit dem Bart ging durch die Reihen und sammelte die Blätter mit einem süffisanten Lächeln ein. Manche Schüler hörten noch seine Fragen oder Kommentare, und auch neben Alexa blieb er stehen und schaute auf sie herab.
»War heute nicht leicht - oder?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. Es bewegte hinter den Gläsern der Brille zwinkernd die Augen. »Es ging.«
»Hast du alles geschafft?«
»Klar.«
»Kompliment, wirklich.«
Er meinte es ehrlich, aber er konnte es nicht so richtig fassen, nahm den Zettel an sich, drehte sich um und ging kopfschüttelnd davon. Es war die letzte Stunde gewesen, die Schüler hatten frei und konnten erst mal durchatmen.
Die meisten waren mit ihren Bikes gekommen. Zu diesen zählte Alexa nicht. Sie hatte nur einen kurzen Fußweg zurückzulegen und musste dabei einen Park durchqueren.
Die Strecke kannte sie im Schlaf. Aber sie schlief nicht, sie war hellwach, als sie ihren Rucksack auf den Rücken schnallte und das Schulgelände verließ.
Sie ging mit zügigen Schritten. Irgendein Gefühl drängte sie, nach Hause zu kommen. Sie wusste auch nicht, was es war, aber es drückte schon, und sie hatte kaum Augen für die Umgebung, die einen frühlingshaften Anstrich bekommen hatte. Die Knospen waren aufgeplatzt. An den Zweigen zeigten sich erste kleine grüne Blätter, die, wenn die Sonne darauf fiel, funkelten wie Sterne.
Der Himmel hatte einen Teil seiner Wolkendecke verloren, sodass warme Strahlen gegen die Erde tupften. Die Wege waren zwar vom letzten Regen noch etwas feucht, aber das machte ihr nichts.
Über Pfützen sprang sie einfach hinweg.
Bis zu einer recht großen Kreuzung musste sie laufen und sich dann nach links wenden. Der Weg, der zu einem seitlichen Ausgang des Parks führte, war schmaler, und er wurde von den rechts und links stehenden Bänken zusätzlich eingeengt. Weiter vorn stand ein Denkmal, und dort musste Alexa hin. In der Nähe des steinernen Kriegers befand sich auch der Ausgang, den sie nehmen musste.
Es lief alles ganz locker ab. Es war wie immer, abgesehen von ihrem seltsamen Gefühl, das sie sonst noch nie gespürt hatte. Sie merkte auch, dass ihr Herz schneller klopfte. Der Drang, nach Hause zu kommen, verstärkte sich weiterhin in ihr.
Hinter ihrem Rücken hörte sie das schrille Klingeln einer Fahrradschelle. In diesem Moment mochte sie das Geräusch nicht, weil es sie erschreckte.
Noch schlimmer war der Typ, der geklingelt hatte. Sie sah ihn auf dem Bike sitzen, als er sich auf gleicher Höhe mit ihr befand.
Ausgerechnet Radbone. Slim Radbone, der Macho, der Angeber, der Aufreißer, der angeblich alle Girls haben konnte, die in London herumliefen.
Sie sagte nichts. Sie ignorierte ihn, aber Slim ließ nicht locker. Er klingelte noch mal, dann fuhr er vor, und als er einen gewissen Abstand gewonnen hatte, stellte er sein Bike quer, sodass Alexa auf dem engen Weg nicht vorbei konnte.
»Hi…«
Sie blieb stehen. Die Brille war etwas verrutscht und musste gerichtet werden. »Was willst du?«
Radbone grinste. Er trug das Haar kurz geschnitten. Wie ein Schatten lag es auf seinem Kopf. In der Regel war er immer dunkel gekleidet, und auch an diesem Tag machte er da keine Ausnahme. Lederhose, Lederjacke, schwarzes Shirt, das jedoch auf der Brust schon einen Farbklecks zeigte. Es waren drei unterschiedlich große
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