1263 - Das Wissen der Toten
seinem Bike auf dem Boden liegen sehen, die umgestürzte Bank unter sich. Hinzu kam die Wunde an seinem Kopf, und wenn sie daran dachte, machte sie sich Vorwürfe, weil sie ihm nicht geholfen hatte.
Aber wenn es anders gekommen wäre, dann hätte er sicherlich auch kein Mitleid mit ihr gehabt. Es wäre bestimmt nicht nur beim Abnehmen der Brille geblieben, denn Slim war jemand, der anderen gegenüber oft keine Rücksicht kannte.
Alles war eben anders gekommen und so, wie sich Alexa es nie hätte vorstellen können. In ihrem Leben hatte es einen tiefen Einschnitt gegeben, der zudem noch einen Namen besaß.
Er hieß Peter!
Und wer war dieser Junge? Er war tot, und dennoch lebte er irgendwie. Das bekam sie nicht in die Reihe. Es widersprach jedenfalls allen Regeln, und trotzdem musste sie sich damit abfinden, dass ein Toter in ihr Leben eingriff.
Wenn sie darüber näher nachdachte, entstand auf ihrem Rücken eine Gänsehaut, aber in dem Augenblick, als Peter ihr zur Seite gestanden hatte, war ihre Denkweise eine andere gewesen.
Die kleine Tür zum Vorgarten stand offen wie immer.
Das Haus gehörte ihren Eltern nicht, dafür die Wohnung in der ersten Etage. Sie hatten sie für viel Geld gekauft und mussten sie noch abbezahlen. Deshalb waren sie für jedes Engagement froh, das sie bekamen, denn das brachte Geld ein.
Alexa liebte das Haus. Hinter den dicken, alten Mauern fühlte sie sich sehr wohl und auch beschützt. Da war sie sicher wie in einem Tresor, und sie konnte sich nur mit dem beschäftigen, was für sie auch wichtig war, wie der neue Einschnitt in ihrem Leben, der mit Namen Peter hieß. Zum ersten Mal hatte er sich auch draußen gemeldet. Bisher hatte er stets den Schutz des Hauses gesucht, nun aber war er ihr sogar ins Freie gefolgt, um ihre Nähe zu suchen.
Plötzlich musste sie lächeln. Für sie stand fest, dass es Radbone nicht mehr versuchen würde, und sie war schon gespannt darauf, wie er sich verhalten würde, wenn sie wieder die Schule betrat. Ob er sie dann überhaupt noch ansprach oder sie einfach ignorierte.
Hinter dem Haus hatte sie auch den Lancia ihrer Eltern gesehen. Simon Jenkins schwärmte für italienische Autos. So lange Alexa zurückdenken konnte, hatte er nie eine andere Marke gefahren.
Den Schlüssel holte sie aus ihrer Jackentasche hervor und schloss die Haustür auf. Es gab wohl nur ein Mädchen in ihrer Klasse, das in einem Kleid in die Schule ging, und das war sie. Es war dunkelbeige, sah aus wie zweigeteilt und reichte ihr bis knapp unter die Knie.
Alexa lief über die breiten Stufen der Treppe zur ersten Etage hoch und gelangte an die Wohnungstür, die sehr breit war und einen Glaseinsatz hatte.
Auch hierfür besaß sie einen Schlüssel. Sie steckte ihn in das schmale Loch, öffnete die Tür, betrat den breiten, aber nicht sehr langen Flur und wusste sofort, dass ihre Eltern Besuch hatten. Nicht nur ihre Stimmen waren zu hören, auch die einer fremden Frau drang an Alexas Ohren, die stehen blieb und lauschte.
Sie war nicht unbedingt erpicht darauf, Teile der Unterhaltung mitzubekommen, aber sie wunderte sich schon darüber, dass zu dieser Stunde Besuch gekommen war. Das war höchst selten, denn die meisten Leute trafen immer am späten Abend ein, wenn die Vorstellung vorbei war.
Es war ungewöhnlich, dass jetzt jemand bei ihren Eltern war.
Alexas Neugierde war erwacht. Sie ging über den hellgrünen Teppichstreifen mit seinem dunkelroten Tatzenmuster hinweg und blieb vor der Tür stehen, die in das große und mit Erbstücken eingerichtete Wohnzimmer führte.
Bei den dicken Türen hätte sie normalerweise nichts hören können, aber sie hatte das Glück, dass die schwere Tür zum Wohnzimmer nicht ganz geschlossen war, und so bekam sie mit, dass sogar über sie gesprochen wurde.
»Wirklich, Mrs. Collins, Alexa müsste eigentlich schon zurück sein. Sie ist nie unpünktlich. Oder nur selten.«
»Kann auch sein, dass in der Schule der Lehrer noch was zu besprechen hatte«, warf Simon Jenkins ein.
»Ich werde auf jeden Fall warten.«
Alexa überlegte. Collins? Den Namen hatte sie bisher nie gehört. Zumindest nicht im Zusammenhang mit ihren Eltern. Dabei ging es um sie. Umso gespannter war Alexa, was diese fremde Frau von ihr wollte. Leider erhielt sie von Peter keine Hilfe. Er blieb in seiner Welt verschwunden, und er hätte sie bestimmt aufklären können. Ihrer Meinung nach wusste Peter über alles Bescheid. Er war jemand, der von einer anderen Welt her den
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