1263 - Das Wissen der Toten
Blutstropfen, die von oben nach unten fielen und dabei immer kleiner wurden. Im rechten Ohr des Schülers klemmten einige Ringe fest, und auch das rechte Nasenloch war damit dekoriert worden.
Alexa ärgerte sich. Sie holte tief Luft. Sie wusste, dass er so leicht keine Ruhe geben würde. Er war einfach so ein Typ, und sie würde viel später zu Hause eintreffen, als sie es sich vorgenommen hatte.
»Mach den Weg frei!«
»Später!«
»Hau ab!«
»Nein.« Er lachte irgendwie schmierig. »Auch wenn du dich noch so aufregst, ich will erst mal wissen, was mit dir los ist.«
»Nichts ist mit mir los.«
»Erzähl keinen Bockmist. Du hast zwar so eine komische Brille auf, aber irgendwie machst du mich an. Ehrlich. Ich bin so scharf auf dich geworden.«
Vielleicht wären andere Mädchen bei diesen Worten errötet, doch das traf bei Alexa nicht zu. Sie wurde sogar blasser, obwohl sich auf ihren Wangen hektische Flecken bildeten. Es war ein Zeichen des Ärgers und der einsetzenden Wut. Auch ärgerte sie sich darüber, dass um diese Zeit keine Menschen den Weg entlanggingen, und auf den nassen Bänken hatte ebenfalls niemand Platz genommen.
Die einzigen Geräusche in ihrer Nähe war das Gezwitscher der Vögel, aber dafür konnte sich Alexa auch nichts kaufen.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst verschwinden. Hau endlich ab, Mann! Geh zu deinen anderen Tussis, auf die du vielleicht Eindruck machen kannst.«
»Ich will aber da nicht hin, sondern zu dir!«
»Und ich will nicht, dass du mich weiter störst.«
»Pech, denn ich bleibe. Nimm mal deine komische Brille ab. Du bist kein weiblicher Harry Potter.«
»Das werde ich nicht tun.«
»Eigentlich bist du ja scharf. Das weißt du nur noch nicht«, erklärte er grinsend. »Mal sehen, vielleicht komme ich heute Abend zu dir. Deine Alten sind doch immer weg - oder?«
»Du kotzt mich an, Radbone.« Alexa erschrak über die eigenen Worte, die eigentlich nicht zu ihrem Vokabular gehörten, aber in diesem Fall hatte sie nicht anders gekonnt. Das hatte einfach rausgemusst, und eigentlich verstand er nur diese Sprache. Alles andere konnte man bei dem Typen vergessen.
»Super, Süße. Du kannst ja richtig wütend werden. Ich habe dich immer für eine graue Maus gehalten. Das war wohl ein Irrtum.«
»Du laberst Mist!«
Er drückte sein Rad weg, sodass es gegen eine Bank fuhr und dort aufgehalten wurde. »Wenn du deine Brille nicht abnimmst, dann werde ich es tun!«
Hinter den Gläsern funkelten ihre Augen. »Wenn du mich anrührst, geht es dir schlecht.«
»Haha, wer will das denn machen?«
»Ich!«
Slim, Radbone war sich so sicher. Sein Mund zog sich in die Breite. Er grinste, und Alexa sah in seinen Augen einen Ausdruck, der ihr gar nicht gefiel.
Sie hatte sich noch nie mit einem Jungen eingelassen. Sie war nicht mal von einem geküsst worden, aber sie war auch kein Mensch, der auf dem Mond lebte, denn mit vierzehn Jahren wusste sie schon, wie der Hase lief.
Es war auch nicht so, dass sie nicht ab und zu ein Auge riskiert hätte, und es gab durchaus den einen oder anderen Jungen, der ihr gefiel, aber Radbone nicht. Er war einfach nur widerlich.
»Wage es nicht!« flüsterte sie.
Slim grinste nur und rieb seine Hände.
»Keine Sorge, Alexa, er wird dir nichts tun. Denk immer daran, dass ich bei dir bin…«
Zunächst glaubte das Mädchen, sich verhört zu haben. Das konnte nicht sein, das bildete sie sich nur ein, denn wieso war sie plötzlich in der Lage, die Stimme eines Menschen zu hören, der gar nicht in dieser Welt existierte?
Das war nicht normal. Peter konnte nicht hier sein. Zudem sah sie ihn nicht, obwohl sich ihre Augen unruhig bewegten. Dann musste sie sich die Stimme doch eingebildet haben, weil sie sich gedanklich so sehr mit ihm beschäftigt hatte.
Radbone fiel die Veränderung seiner Mitschülerin auf. »He, was ist los mit dir? Machst du dir gleich vor Angst in die Hose?«
»Bestimmt nicht!«
»Na, dann können wir ja…«
»Keine Angst, keine Angst«, meldete sich die zweite Stimme in ihrem Kopf.
Radbone hatte nichts gehört und auch das Verhalten des Mädchens nicht richtig einschätzen können.
Er war der große Macho, er hatte alles erreicht, was er wollte.
Er packte zu. Mit beiden Händen wollte er sie an sich reißen, nur passierte das nicht.
Er brach mitten in der Bewegung ab und blieb in einer grotesken Haltung stehen.
In ihrem Kopf hörte die Schülerin ein leises Lachen. Da wusste sie endgültig, dass sie vor Radbone keine
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