1264 - Justines Geisel
allein auf die Gesichter der Gestalten.
Beide waren glatt und verzerrt zugleich. In der Haut waren Falten wie Rinnen zu sehen, die ihre Gesichter durchzogen. Die Münder standen schief, aber sie waren auch halb geöffnet, so dass unter den Oberlippen die beiden spitzen Zähne nach außen stachen, die wie die Enden heller Dolche aussahen.
Stumpfe Augen. Aber gerade diese Stumpfheit erschreckte Glenda. Da war nicht zu erkennen, was sie vorhatten, ob sie sich gleich auf sie stürzen wollten oder nicht.
Beide trugen dunkle und recht kurze Jacken, die sie nicht geschlossen hatten. So erkannte Glenda, dass sie etwas um ihre Oberkörper geschlungen hatten, aber es war ihr nicht möglich, diese seltsamen Gegenstände zu identifizieren. Allerdings mussten sie eine Bedeutung haben, sonst hätten sie nicht so ausgesehen.
Justine schlenderte herbei. Wie eine gute Freundin legte sie Glenda einen Arm um die Schultern.
»Du glaubst gar nicht, wie hungrig sie sind, aber ich brauche sie für etwas anderes.«
»Für was?«
»Sie sind perfekt.«
»Was sollen sie…«
»Nicht doch, du wirst es hören.« Justine nickte den beiden Wiedergängern zu, die wohl nur auf diese Kopfbewegung gewartet hatten, denn auf der Stelle und ohne zu zögern drehten sie sich um und gingen den gleichen Weg wieder zurück. Sogar ihr Gang hatte sich nicht verändert, und so verließen sie die Halle.
Glenda hätte aufatmen können, weil dieser Kelch an ihr vorüber gegangen war, sie tat es nicht, denn alles, was Justine Cavallo in Bewegung setzte, das passierte mit Berechnung.
»Hören?«, fragte Glenda.
»Ja.«
»Wie denn?«
»Noch nicht. Lass dich einfach überraschen.« Sie nickte vor sich hin und lächelte. »Wie ich Sinclair kenne, wird er sich so schnell wie möglich auf den Weg gemacht haben, und ich glaube auch, dass er sehr bald hier auftauchen wird.«
»Das ist möglich.«
Wieder fuhr die Totenhand über Glendas Wange hinweg. »Nein, das ist nicht nur möglich, das wird eintreffen. Sinclair tut alles für dich. Auch wenn ich in der Nähe bin. Er zieht es durch, weil er voll auf seine Stärke setzt. Aber ich habe gelernt, Glenda, das wirst du erleben.«
Glenda wollte fragen, worum es ihr ging, aber Justine drehte sich schon weg. Ihr neues Ziel war die Feuerstelle, vor der sie in die Knie ging und sich noch einmal ihr Gebilde genau anschaute. Sie war zufrieden, zumindest deutete das Nicken darauf hin.
Immer hockend, griff sie dann in die Tasche und holte eine Schachtel mit Zündhölzern hervor. Wenig später ratschte der Kopf eines Zündholzes über die Reibfläche, dann flackerte die Flamme auf und wurde gegen das Holz gehalten. Es war so trocken, dass kein Papier nötig war, um es in Brand zu setzen.
Die ersten kleinen Flammen huschten schon sehr schnell in die Höhe, fanden Nahrung und verwandelten sich in gierige Fresser, so dass unter dem Topf schon bald ein zuckendes Meer aus Feuer entstand und den Inhalt erwärmte.
Justine Cavallo richtete sich wieder auf. Sie schnippte das geschwärzte Zündholz zur Seite und drehte sich Glenda zu.
»Es ist bereit«, erklärte sie. »Ich freue mich schon auf deinen Freund Sinclair…«
***
Es war eine Fahrt, die Suko und ich nicht als normal ansehen konnten. In unseren Mägen schienen Klumpen zu sitzen, darüber hatten wir gesprochen, aber man hatte uns keine andere Wahl gelassen.
Wir mussten durch, und wir würden nicht kneifen.
Natürlich machten wir uns große Sorgen um Glenda Perkins, doch keiner von uns sprach darüber.
Der Druck war einfach da, aber auch die Konzentration, die ebenfalls blieb, als wir das Ziel erreicht hätten, jedoch nicht dort anhielten, wo wir schon mal gestoppt hatten, sondern ein Stück weiter vor, wo die Straße noch befahren war und der Verkehr an uns vorbeirollte.
Ich schaltete auch das Licht aus, das ich sicherheitshalber während der Fahrt eingeschaltet hatte. Es war noch nicht dunkel geworden, aber die Dämmerung ließ sich nicht aufhalten. Sie würde kommen, und sie würde mir ebenso Schutz bieten wie meinen Gegnern, was mir natürlich nicht gefallen konnte.
Suko schaute mich von der Seite her an. »Es bleibt also bei unserem Plan?«
»Hast du einen besseren?«
»Nein.«
»Wir müssen Glenda rausholen«, erklärte ich flüsternd. »Sie in der Gewalt der blonden Bestie zu wissen, macht mich fast wahnsinnig.«
»Mich auch, aber wir müssen trotzdem daran denken, dass es Justine uns nicht einfach machen wird. Das ist keine normale Geiselnahme. Kein
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