1265 - Im Visier der Schattenhexe
hielt Suko dabei so fest, dass seine Arme gegen den Körper gepresst wurden. Sie brachte ihr Gesicht an die linke Halsseite heran und riss den Mund weit auf.
Suko selbst sah es nicht. Er bekam nur die Folgen zu spüren, denn etwas kratzte über seinen Hals hinweg. Auch wenn er es nicht sah, wusste er doch, dass es die Spitzen der beiden Vampirzähne waren, die da über seine Haut streiften.
Biss sie zu?
Nein, sie tat es nicht. Sie spielte mit ihm, sie lachte dabei leise. »Blut, Chinese, dein Blut. Ich kann es holen, wann immer ich es will. Ich kann alles mit dir machen. Nie standen deine Chancen schlechter.«
Es war ein Kampf. Ein Kampf, den Suko zunächst gegen sich selbst ausfocht. Er fühlte sich immer weniger als Mensch. Er schwankte auch im Griff der Vampirin. Er musste mit den Kopfschmerzen zurechtkommen. Er hielt die Augen offen, er schaute nach vorn, aber er sah die Umgebung nur verschwommen. Der Himmel und die Wolken wurden zu einem einzigen Gemenge, als wären sie die Dekoration einer fernen fremden Welt im Nirgendwo.
Er gelangte in einen Zustand hinein, in dem ihm alles gleichgültig war. Als er das merkte, wollte er sich davon losreißen. Er musste raus aus diesem Zustand, aber die Schwäche war stärker als der Wille.
Aber er merkte schon, dass ihn die Cavallo nicht mehr festhielt. Er hätte sich jetzt wehren können, allein ihm fehlte die Kraft, aber das Schwanken bildete er sich nicht nur ein, und auch die böigen Schläge des Windes erwischten ihn immer wieder.
Suko hatte die Augen weit geöffnet. Er blickte nach vorn, nur nicht in die Tiefe. Dann hörte er noch einmal die Stimme der Blutsaugerin. Sie hatte ihren Spaß.
»Ich überlasse es dir, wie du umkommen willst, Chinese. Ich lasse dich jetzt hier allein stehen. Wenn du die nächsten zehn Sekunden überstehst, werde ich dein Blut trinken. Wenn du aber in den nächsten zehn Sekunden fällst, hast du noch ein paar Momente Zeit, um über dein Leben nachdenken zu können, bevor du auf dem Boden aufschlägst.«
Suko hatte trotz des Nebels in seinem Kopf die Sätze verstanden. Seine Auffassungsgabe war noch schnell genug, und er registrierte auch, dass er die Wahl hatte zwischen Tod und Teufel. Egal, für was er sich entschied, er würde immer verlieren.
Er schwankte bereits.
Das Keuchen drang aus seinem Mund wie ein erstickter Hilfeschrei. Das hörte die Cavallo.
Sie lachte scharf und bösartig auf!
***
Genau diese beiden Reaktionen hatte auch ich mitbekommen. Ich wusste, dass ich innerhalb der nächsten Sekunden handeln musste. Die Lage hatte sich gedreht, sie war auf den Kopf gestellt worden, denn jetzt war nicht mehr mein Kreuz wichtig, sondern einzig und allein mein Freund Suko.
Zum Glück drehten er und die Cavallo mir den Rücken zu. Selbst der Instinkt der blonden Bestie versagte hier, und ich ließ mir diese Chance nicht entgehen.
Ich hatte mich am Rand der Luke in die Höhe gezogen und meinen Oberkörper schon nach draußen gedrückt. Noch ein Ruck, dann lagen meine Beine frei.
Ich kletterte auf das Dach.
Suko schwankte schon gefährlich nah an der Kante. Es war schon ein kleines Wunder, dass er sich noch halten konnte.
In den folgenden Sekunden lief alles ab wie ein Uhrwerk, und ich war der Motor, der es in Gang brachte.
Ich sprang nach vorn.
Bisher hatte alles so wunderbar geklappt, nun aber ging es mit dem Teufel zu. Die Cavallo empfing eine Warnung, und plötzlich schnellte sie herum.
Ich war nicht mehr zu stoppen.
Mit meinem vollen Gewicht rammte ich gegen sie. Den Schrei hörte ich noch, sie riss auch die Arme hoch, aber der harte Stoß konnte nicht mehr ausgeglichen werden.
Sie flog nach hinten, wo es keinen Boden mehr gab, der ihr Halt gegeben hätte.
Dann fiel sie in die Tiefe!
***
Was ich in diesen Sekunden dachte, wusste ich selbst nicht. Es konnten auch erlösende Gedanken gewesen sein, aber das war jetzt nicht mehr wichtig.
Meine nächste Aktion galt Suko, der bereits ohne mein Zutun nach vorn kippte. Ich war schneller, bekam ihn zu packen und schleuderte ihn zur Seite weg.
Das alles passierte innerhalb weniger Augenblick, in denen es mir auch gelungen war, die blonde Bestie nicht aus den Augen zu lassen, obwohl sie nicht mehr auf dem Dach stand.
Sie fiel, aber sie rauschte auf eine besondere Art und Weise in die Tiefe, als wäre sie dabei, als Stuntfrau für einen Film zu üben. Sie hatte sich sogar in der Luft gedreht, und ich schaute jetzt auf ihren Vorderkörper. Ich sah die ausgebreiteten Arme,
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