127 - Das Aruula-Projekt
weißt, dass ich viel herumgekommen bin«, begann Aruulas neuer Partner.
»Wie könnte ich das vergessen?«
Er zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. »Ich denke, wir sollten unsere neue Partnerschaft damit beginnen, dass wir uns gegenseitig nicht mehr mit Spott und Ablehnung überhäufen.«
Aruula nickte. »Welche Richtung schlägst du vor?«
»Erst einmal weg von dieser Schlucht, auf die man immer wieder trifft. Es ist wie verhext. Langsam beginne ich an einen Spuk zu glauben.«
Seine beiläufige Bemerkung machte sie nachdenklich. Sollte sie ihm von den eigenartigen Ereignissen erzählen? Von ihrem lebendigen Spiegelbild?
»Was meinst du mit verhext?« , fragte sie vorsichtig.
»Ich meine gar nichts. Es ist nur ein Wort, ein Ausdruck, den man eben manchmal benutzt. Du solltest nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen.«
»Ich werde es versuchen – aber dann solltest du nicht ständig sinnlose Dinge sagen, die alles oder nichts bedeuten können.«
Sie lief los, in die Richtung, aus der sie gekommen war, die Schlucht im Rücken. Vorerst. Bald würde sie einen neuen Weg einschlagen – um zu vermeiden, dem See noch einmal zu nahe zu kommen.
Sie hörte, dass er ihr nachlief. »Um das Gespräch fortzuführen«, keuchte er, »ich bin viel herumgekommen. Aber noch nie hat es mich in eine Gegend wie diese verschlagen. Die… die Richtungen selbst scheinen hier verrückt zu spielen; man läuft immer wieder im Kreis. Weißt du, ich verfüge über einen ausgezeichneten Orientierungssinn…« Er schwieg für einen Moment, und als Aruula nicht reagierte, fuhr er fort: »… und es ist gelinde gesagt höchst ungewöhnlich, dass ich immer wieder auf diese Schlucht stoße.«
»Auch mir kommt es so vor, als sei hier manches nicht so, wie es sein sollte.« Aruula blieb stehen und wartete, bis ihr Begleiter mit ihr auf einer Höhe war. Dann sah sie ihm in die Augen. »Und ich weiß nicht, ob es an diesem Ort hier liegt – oder an mir selbst.«
»Ich fragte mich schon, wann du darauf zu sprechen kommen würdest. Ich bin ein guter Beobachter, weißt du?«
»Gibt es eigentlich irgendetwas, in dem du nicht gut bist?«, stieß Aruula hervor – und bereute ihre Worte, kaum dass sie heraus waren. Sie wappnete sich auf neue Vorwürfe des Reisenden, doch zu ihrer Überraschung ging er auf ihren Sarkasmus nicht ein.
»Du machst auf mich den Eindruck, als wärst du in hohem Maße… nun, verwirrt. Was ist dir widerfahren?«
Aruula presste die Lippen zusammen, schloss kurz die Augen. Furcht stieg in ihr hoch. Die Furcht vor der Wahrheit, vor der Bestätigung dessen, was sie schon die ganze Zeit über befürchtete.
»Nun, es war mitten in dem Gewitter…«, begann sie.
»Vor drei Tagen also.«
Verwirrt sah sie ihn an. »Nein, vor wenigen Stunden erst! Kurz bevor wir uns zum ersten Mal getroffen haben.«
Er sah sie mit undeutbarer Miene an. »Der letzte Regenguss liegt drei Tage zurück.«
»Unmöglich!«, beharrte Aruula. »Vier Stunden – höchstens!«
»Siehst du? Genau das meinte ich: Es tut mir Leid, aber du bist in der Tat ziemlich verwirrt.«
Aruulas Gedanken rasten. Natürlich hatte es geregnet, und sie hatte erbärmlich gefroren. Was der Reisende erzählte, konnte einfach nicht sein.
»Es spielt keine Rolle«, sagte er. »Was passierte dann?«
Aruula musste sich erst fangen, bevor sie weiter berichten konnte. Was, wenn der Reisende Recht hatte? Wenn sie sich alles nur eingebildet hatte?
Sie gab sich einen Ruck und unterdrückte die Furcht. Sie wollte endlich Klarheit haben. Vielleicht half das Gespräch, sie zu erlangen.
»Ein Nosfera griff mich an. Ich habe ihn getötet – sonst hätte er mein Blut getrunken.«
»Ich habe seine Leiche gesehen«, bestätigte der Reisende.
Gut. Der Blutsauger hatte also wirklich existiert.
»Dann kam eine Taratze wie aus dem Nichts. Auch sie musste ich töten.« Aruula wartete darauf, dass er etwas sagte, doch der Reisende blieb stumm. Also fuhr sie fort: »Kurze Zeit darauf kam ich an einen kleinen See…« Sie stockte erneut.
Über ihr Spiegelbild im Wasser zu berichten fiel ihr nicht leicht.
»Ein See!«, echote der Reisende. »Das ist großartig! Seit Tagen – seit dem Regen – habe ich keinen Tropfen Wasser mehr gefunden. Der Vorrat in meiner Trinkflasche geht zur Neige. Kannst du mich zu dem See führen?« Als Aruula nicht reagierte, fügte er hinzu: »Was ist los? Worauf wartest du?«
»Ich… weiß nicht.« Aruula wusste selbst, wie hohl diese
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