127 - Das Aruula-Projekt
ihren Reizen nicht verfallen wäre.
Sie sahen in ihre Augen und vertrauten ihr sofort. Kindlich, nannten sie sie, und unschuldig. Wunderschön, sagten sie und lobten ihren schlanken, meist nur mit zusammengefügten schwarzen Lederriemen bekleideten Körper.
Ninian nahm einen vorsichtigen Schluck des Getränks. Der Becher war schmutzig, doch sie versuchte sich nicht daran zu stören. Es brannte heiß in ihrer Kehle, hinterließ aber einen durchaus angenehmen Geschmack.
Allerdings war man gut beraten, beim Trinken nicht einzuatmen, denn der Geruch verdarb einiges. Mit Erstaunen hatte sie immer wieder festgestellt, dass viele erbärmlich stinkende Lebensmittel mancherorts als Delikatesse angesehen wurden.
Das verstand sie nicht, doch es war ihr gleichgültig. Sie verstand vieles nicht, was für andere selbstverständlich war. Sie kümmerte sich nicht darum. Sie lebte ihr Leben, und sie hatte ihre Aufgaben. Nichts sonst war von Bedeutung.
Außer vielleicht den Aynjel. Doch jemals in dieser Welt und dieser Wirklichkeit auf sie zu treffen war nur ein Traum, nichts weiter. Manchmal fragte sie sich, ob es nicht dieser Traum war, der sie am Leben hielt.
Ärgerlich über sich selbst, wischte sie den Gedanken beiseite. Erst nach der Erfüllung ihres Auftrags durfte sie sich wieder damit befassen. Das war einer der Grundsätze, die sie sich selbst auferlegt hatte.
Der Weg durch eine weite karge Gegend lag vor ihr, und nur deshalb hatte sie in dieser Spelunke Rast gemacht. Ein altes verwittertes Schild draußen vor der Tür wies darauf hin, dass hier die letzte Theke vor der Einöde stand… die letzte Gelegenheit also, sich zu verpflegen.
Dementsprechend war die Schankstube gut besucht. Wie die Männer hier drin sie anstarrten! Als hätten sie noch nie eine Frau gesehen. Ninian waren solche Blicke nicht fremd, denn sie wusste, dass sie begehrenswert war. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, war Schönheit ein Bestandteil ihres Wertes.
Deswegen hatte niemand je gewagt, ihre Schönheit anzutasten oder zu verderben. Und jeder, der es wagte, würde Bekanntschaft mit ihren Waffen machen. Vorzugsweise mit den Klingen, denn auch sie konnten elegant töten. Elegant oder grausam, je nachdem, wie sie es wollte.
Einer der Männer, der am Nebentisch saß und sie schon lange besonders gierig angestarrt hatte, näherte sich ihr. Er schob geräuschvoll seinen Stuhl nach hinten und atmete so tief ein, dass sich seine schäbige Oberkleidung über der muskulösen Brust spannte.
Er blieb direkt neben ihr stehen, beugte sich zu ihr herunter und sprach sie an, während sein fauliger Atem ihr schier die Luft nahm. »Du solltest mit mir kommen.«
Ringsum wurde es still. Totenstill.
Ninian starrte ihn aus großen Augen an und drehte ihm dann demonstrativ den Rücken zu.
»Bist dir wohl zu fein, mit mir zu reden, was, meine Schöne?« Der Kerl ließ ein raues Lachen folgen, das von anderen Tischen erwidert wurde.
»Die kann gar nicht reden, hast du das nicht gemerkt, du Holzkopf?!«, rief der Wirt quer durch den ganzen Raum.
»Komm, setz dich hin und lass sie in Ruhe!«
»Du kannst nicht reden?« Der Kerl fasste Ninian an den Schultern und drehte sie herum, sodass sie ihn ansehenmusste.
»‘ne Stumme also. Na, vielleicht kannst du ja wenigstens ‘n paar Laute machen, ja?« Das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch um einiges breiter und unverschämter. »Ich werd dich schon dazu bringen.«
Gelächter tönte an verschiedenen Stellen des Raumes auf.
Ninian spürte, wie Wut in ihr emporstieg. Sie mochte es nicht, dumm angeredet zu werden, und sie mochte es schon gar nicht, wenn sich jemand über ihre Behinderung lustig machte.
Sie hatte sich ihr Schicksal nicht ausgesucht.
In Momenten wie diesen sah sie ihre toten Eltern vor sich, von der Krankheit dahingerafft, die sie selbst nur knapp überlebt hatte. Und sie konnte es nicht leiden, wenn jemand das Andenken ihrer Eltern beschmutzte.
Sie hob die Arme, langsam und kontrolliert. Sie sah in den Augen des Kerles, der es gewagt hatte, sie anzufassen, dass er zu dumm dazu war, um zu erkennen, dass seine letzte Chance darin bestand, wegzulaufen. Ninian schob seine Hände von ihren Schultern. Danach rieb sie ihre Handflächen demonstrativ an der Tischkante ab.
»Ich liebe deine roten Haare, stummes Weib! Sie umfließen deinen Kopf wie… äh… wie rotes Moos einen Felsen im Fluss!«
Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern. »Hab ich das nicht schön gesagt?«
Wieder antworteten
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