1272 - Der Geist des Zauberers
eingraviert.
Sie stammten aus dem vorletzten Jahrhundert. Man hatte also alte Grabsteine von irgendwoher gebracht und sie hier in London unter der künstlichen Böschung aufgestellt.
Es hatte bisher noch niemand gesprochen, und das setzte sich auch fort. Naomi zählte acht Bewacher, und sie wunderte sich noch immer über sich selbst, mit welch einer Gelassenheit sie dies hier alles aufnahm. Das hätte sie sich vor einem Tag nicht vorstellen können. Aber ihr fehlte einfach die Verbindung zu dieser Magie.
Als sie den Kopf nach rechts drehte, sah sie Adam zwischen seinen Bewachern stehen. Er kämpfte mehr mit seiner Furcht als Naomi. Ruhig stehen bleiben konnte er nicht. Er zitterte und hielt den Kopf gesenkt wie jemand, der sich schämt.
Es wurde nicht gesprochen.
Es gab nur die Grabsteine, das kalte Licht und die wartenden Voodoo-Diener.
Die Tür war hinter ihr zugefallen. Naomi hatte nicht gesehen, dass sie von innen abgeschlossen worden war. Ob sie das als Vorteil ansehen sollte, wusste sie nicht.
So sehr sie auch dieser unheimliche Anblick fesselte oder ablenkte, plötzlich kehrte wieder die Erinnerung zurück an das, was sie schon mal erlebt hatte.
Sie dachte an die Veränderung des Spiegels im Hotelzimmer, und dort hatte sie nicht nur die Wellen gesehen, sondern auch das dreigeteilte Gesicht einer fürchterlichen Gestalt. Fragen brauchte sie keine zu stellen, weil sie jetzt zu wissen glaubte, wer sich dahinter verbarg.
Es war Orru!
Und wenn sie ihre Gedanken etwas fortführte, gelangte sie zu dem Schluss, dass diese Gestalten hier auf Orru warteten und sich wünschten, dass er kam.
Noch passierte nichts. Er hielt sich zurück, aber er war da, und das merkte auch Naomi. Die Luft um sie herum nahm an Kälte zu. Etwas schien aus der Erde zu dringen, das bisher tief darin verborgen gewesen war. Es war so schrecklich, dass sich nicht nur die Haut auf Naomis Körper zusammenzog, sondern sich auch ihr Inneres verkrampfte. Sie spürte sehr deutlich die andere Macht, die stärker war als die Kraft eines jeden Menschen.
Er kam.
Naomi sah ihn nicht, aber sie spürte, dass der geheimnisvolle Orru unterwegs war.
Und tatsächlich entdeckte sie um das Feuer herum eine Bewegung. Es waren die Wolken, die sie schon mal im Spiegel gesehen hatte. Jetzt stiegen sie hier in die Höhe, und aus den nebligen Gebilden formte sich ein schreckliches Gesicht.
Orru war da!
***
Sie sahen aus, als wären sie gekommen, um uns Angst zu machen und uns an einer Weiterfahrt zu hindern. Sie hatten ihre Gesichter bleich bemalt oder gepudert, als wären sie auf dem Weg zu einem Maskenball an Halloween.
In den Händen hielten sie Gefäße, die aussahen wie mit Griffen versehene Weihrauchkessel, deren Außenseiten durchlöchert waren. Die Gefäße bewegten sich beim Gehen heftig auf und ab, sodass aus den Löchern an den Seiten eine Flüssigkeit spritzte. Sie bestand aus dicken, trägen Tropfen, die auf das Pflaster der Gasse fielen und sich dort als breite Flecken verteilten.
Wasser war das nicht. Aber Öl. Und mit diesem verdammten Zeug hatten sie auch für den Schmierfilm gesorgt, auf dem der Porsche gerutscht war.
»So haben sie das also gemacht«, flüsterte Bill, und seine Stimme hörte sich knirschend an. »Na warte, die hole ich mir.«
»Sei vorsichtig!«
»Es sind nur zwei, John!«
»Trotzdem.«
Ich traute dem Frieden nicht. Die wussten genau, was sie taten, und sie kümmerten sich auch nicht um uns. Sie schwenkten ihre Gefäße, als wollten sie damit die ganze Umgebung absegnen. Um uns kümmerten sie sich nicht.
»Willst du hier einfach stehen bleiben, John?«
»Nein.«
»Dann tu was!«
Ich hatte mir schon etwas überlegt. Aber ich wollte den Anfang machen und nicht Bill.
Der Wagen stand auf der Gasse wie eine Flunder, die vier Räder bekommen hatte. Das Scheinwerferlicht strahlte nach vorn und erwischte auch die beiden Gestalten, die das Zeug auch weiterhin verteilten. Sie ließen mich sogar näher an sich herankommen, und ich musste darauf Acht geben, dass ich nicht auf diesen Ölflecken ausrutschte. Ich hatte die Frontpartie des Porsches noch nicht erreicht, als eine der beiden Gestalten seine Tätigkeit unterbrach und mit einer scharfen Bewegung zu mir herumfuhr.
Er starrte mich an, ich schaute auf ihn. Er grinste. Die weiße Farbe in seinem Gesicht bekam Falten, und in den Augen leuchtete etwas, das mir nicht gefiel.
Der Mann ließ das Gefäß los. Es prallte mit einem scheppernden Geräusch zu Boden.
»Und
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