1279 - Insel der Sternensöhne
sinken. „Endlich. Das wurde aber auch Zeit."
Maud Leglonde kam herein und kündigte die Gefangenen an.
„Es sind stolze und mutige Geschöpfe", sagte sie. „Ich dachte, daß wir es schwerer mit ihnen haben würden."
In diesem Moment verschwanden die Bilder von allen Monitorschirmen. Dafür erschien ein grell leuchtendes, pulsierendes Rot. Gleichzeitig heulte eine Alarmpfeife auf.
Leila Terra beugte sich vor, um eine Ruftaste an einem der Bildschirme zu drücken.
Doch das Bild wechselte, bevor sie die Taste berühren konnte. Das bleiche Gesicht eines Ortungsoffiziers erschien.
„Hanse-Sprecherin", rief der Mann. „Ein gewaltiger Nocturnen-Schwarm ist mitten im Sonnensystem materialisiert. Er treibt mit hoher Geschwindigkeit auf Kontor Fornax zu."
Leila Terra schnürte es den Hals zu. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Ein Nocturnen-Schwarm über Kontor Fornax bedeutete totales Durcheinander und somit eine echte Bedrohung.
„Abwehrmaßnahmen einleiten", befahl sie, nachdem sie sich von ihrem Schock erholt hatte. „Wir müssen verhindern, daß der Schwarm Kontor Fornax erreicht."
Sie schaltete blitzschnell und diszipliniert. In diesen Sekunden bewies sie ihre hohe Qualifikation als Hanse-Sprecherin und als Organisatorin. Innerhalb kürzester Zeit mobilisierte sie den Stützpunkt mit seinen sämtlichen Einrichtungen, allerdings waren alle Maßnahmen darauf ausgerichtet, den Nocturnen-Schwarm abzulenken.
Sie wollte die Nocturnen auf keinen Fall töten oder sie auch nur verletzen. Sie wollte sie von Kontor Fornax ablenken und möglichst schnell wieder aus dem Faalin-System herauskomplimentieren.
Der Lebenszyklus der Nocturnen bestand aus zwei Phasen. In der ersten, der sogenannten Schwarmphase, waren die Nocturnen hauchdünne Membranen aus fünfdimensional schwingendem Quarz. Sie hatten die unterschiedlichsten Größen. Einige hatten lediglich einen Durchmesser von nur etwa zwei Metern, andere dehnten sich dagegen bis zu einem Durchmesser von mehr als hundert Metern aus. Es waren ätherische Geschöpfe ohne Intelligenz, die von ihrem Instinkt getrieben in riesigen Schwärmen - einige erreichten bis zu einer Million Individuen - auf festgelegten Wegen von Sonne zu Sonne zogen und sich von deren 5-D-Strahlung ernährten. In dieser Phase waren die Nocturnen farblos, fast gläsern.
Leila Terra war in höchstem Maß verunsichert. Von einer Flugschneise, die durch das Faalin-System führte, wußte sie nichts.
Die Hyperstrahlung wurde zum Teil zum Wachstum verwendet, zum Teil aber auch gespeichert und zur Fortbewegung nach dem Transitionsprinzip genutzt. Die maximale Sprungweite eines Nocturnenschwarms betrug etwa ein Lichtjahr. Da nach jedem Sprung eine mehrtätige Erholungspause notwendig war, wunderte sich die Hanse-Sprecherin, daß die Ortungsstationen den Schwarm nicht schon sehr viel früher angemessen hatten, als dieser sich noch im Leerraum zwischen Faalin und dem nächsten Sonnensystem befunden hatte.
Die hochfrequente Hyperstrahlung - die psionische Strahlung - der Sonnen war für die Nocturnen unverdaulich. Sie wurde als Paratau - halbstoffliche Psi-Energie in Form von leuchtenden Tropfen - ausgeschieden und sammelte sich entlang der Flugschneisen in den Tauregionen. Das Auftauchen des Nocturnen-Schwarms bedeutete daher, daß Kontor Fornax zu einer Tau-Region werden würde.
„Ich will sofort eine Computer-Berechnung über die Auswirkungen des Nocturnen-Schwarms und auf den Stützpunkt haben", sagte Leila Terra.
Auf dem Bildschirm vor ihr erschien das Gesicht einer blonden Frau mit kühlen Augen und aufgeworfenen Lippen, die den Eindruck erweckten, als sei sie ungehalten über den Auftrag.
„Sofort, Hanse-Sprecherin", erwiderte die Frau. „Ich blende die Ergebnisse ein."
Das Bild der Frau verschwand, und dafür erschien eine graue Fläche.
Leila Terra hörte jemanden erschrocken atmen.
„Das gibt es doch gar nicht", stammelte eine männliche Stimme.
„Was ist los?" fragte sie.
Die Hanse-Sprecherin blickte Maud Leglonde an, die neben ihr stand. Sie erschauerte unter einem Gefühl der Kälte, das sie unvermittelt überfiel, und sie ahnte, daß etwas geschehen war, was den Stützpunkt in eine Krise stürzte.
„Mein Gott, das ist doch unmöglich." Das war die Stimme der Blonden.
Der Bildschirm blieb noch immer dunkel.
„Erfahre ich endlich, was los ist?" rief Leila Terra zornig. „Ich verlange Disziplin und Gehorsam."
„Leila, es ist...", stotterte die Blonde.
„Was ist?"
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