1281 - Der dreifache Tod
Shao war der Meinung, dass die Luft rein war.
»Dann geh!«
Sie war auf der Hut und hielt ihre Armbrust jetzt in der Hand, wobei sie einen Pfeil aufgelegt hatte, aber sie sah kein Ziel.
Suko blieb hinter ihr, beobachtete sie. Shao war noch nicht wieder fit. Sie bewegte sich etwas zu langsam, was er bei ihr nicht gewohnt war. Ihm erging es ähnlich. Dabei waren sie nicht mal von den Gestalten angegriffen worden.
Shao blieb stehen und drehte sich nach links, denn dort mussten die beiden Männer liegen, die sie bewusstlos geschlagen hatten. Es gab sie nicht mehr. Sie waren verschwunden. Entweder aus eigener Kraft oder sie waren weggeholt worden.
»Das ist Pech auf der ganzen Linie«, sagte Suko, als er neben Shao stehen blieb und sich umschaute.
»Wir haben verloren.«
»Nur die erste Schlacht. Wir werden sie finden, Suko. Und verdammt, wir müssen sie finden.«
Suko gab darauf keine Antwort. Es würde so sein, dass sie zurück zum BMW gingen, der sicher auf dem Parkplatz eines Polizeireviers stand. Sie würden zurück in die Wohnung fahren, ihre seelischen Wunden kühlen und darüber nachdenken, dass leider erst nur die Ouvertüre vorbei war. Das richtige Drama lag noch vor ihnen.
An der Umgebung und an den Geräuschen hatte sich nichts verändert. Noch immer klatschten die Wellen gegen die Kaimauer, aber sie vernahmen auch bald ein anderes Geräusch. Das tiefe Brummen konnte nur vom Motor eines Bootes stammen. Es klang nicht weit entfernt auf, und als beide zur Kaimauer hinliefen und über das Wasser schauten, sahen sie den dunklen Bootsschatten, der eine schaumige Heckwelle hinter sich herzog und sich in den nächsten Sekunden immer weiter entfernte.
Shao hatte die Halbmaske vom Gesicht entfernt. »Denkst du das Gleiche wie ich?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann haben wir nicht fest genug zugeschlagen.«
Shao konnte wieder lachen. »Passt doch - oder?«
»Ja, in dieser Nacht passt eben alles, um unsere Niederlage perfekt zu machen…«
***
Sonntag - dazu noch ein Morgen am Sonntag. Und das im August. An einem Tag ohne Regen, an dem der sich einschleichende Spätsommer noch mal beweisen wollte, wozu er fähig war.
Und ich hatte frei. Ich lag im Bett. Ich hätte auch noch länger darin liegen und endlich mal bis hinein in den Mittag schlafen können, aber da gab es etwas, was mich davon abhielt.
Ich konnte einfach den vergangenen Abend nicht vergessen, den ich zusammen mit Lavinia Kent und der Staatsanwältin Purdy Prentiss verbracht hatte. Es war kein gemütliches Zusammensein gewesen. Hier war es um den letzten Fall gegangen, um einen Henker aus der Vergangenheit, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, eine Frau zu töten, die beim Yard als Polizeipsychologin arbeitete.
Er hatte es nicht geschafft. Daran trug nicht nur ich die Schuld, sondern auch Lavinias Schutzengel, der sie auf ihrem Weg unsichtbar begleitet hatte. Er, der sie schon öfter vor einem schlimmen Tod bewahrt hatte, hatte auch diesmal eingegriffen. Gemeinsam war es uns dann gelungen, die Gestalt aus der Vergangenheit zu vernichten.
Leider hatte der Fall drei Menschen das Leben gekostet, und darüber hatten wir auch geredet.
Lavinia Kent, die Psychologin, brauchte erst mal Ruhe. Sie würde sich einen dreiwöchigen Urlaub nehmen und über sich nachdenken, und ebenfalls über ihren Schutzengel, der seine Aktivitäten etwas reduzieren wollte.
Ich dachte zwar an diesem Morgen auch an Urlaub, doch als ich aufstand und einen Blick aus dem Fenster warf, verging mir der Gedanke sehr schnell.
Zwar regnete es nicht, aber der Himmel war wolkenschwer und dementsprechend grau. Hinzu kam der warme Südwind, der heiße Luft aus Afrika herbeischaufelte und so für ein Wetter sorgte, das wegen seiner Schwüle schon jetzt unerträglich war. Da würde ich freiwillig nicht vor die Tür gehen.
Selbst in meiner Hochhausbude war es noch kühler.
Ich hätte wieder ins Bett gehen können, doch einmal auf den Beinen hatte ich auch keine Lust dazu.
Deshalb trieb es mich unter die Dusche, die ich kalt und dann lauwarm stellte, um mir den Schweiß der letzten Nacht vom Körper zu spülen.
Hundstage nannte man so etwas, und wie ein Hund, der unter Durst litt, fühlte ich mich auch. Ich trank einen Schluck Wasser und wollte mir dann einen Kaffee kochen.
Dazu kam ich nicht mehr.
Ich hielt den Löffel mit dem Kaffee schon in der Hand, als sich das Telefon meldete.
So früh? Und das an einem Sonntag?
Vielleicht hatte jemand Langeweile, der unbedingt etwas
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