1288 - Das unheimliche Mädchen
nicht für unschuldig. Damit stehe ich nicht allein, verflucht. Ich will es wissen. Jetzt, noch in dieser Nacht. Deine Unschuld kauft dir keiner ab, das steht fest. Ich will es wissen. Verstanden?«
»Ja.«
»Dann los!«
»Nein, Gina, du kannst mich fragen, was du willst. Ich gebe dir eine Antwort, wenn es möglich ist. Aber es ist nicht möglich. Ich habe nichts mit dem Feuer zu tun. Und ich will damit auch nichts zu tun haben, begreife das endlich.«
»Toll.« Gina lachte girrend. »Dann frage ich dich, weshalb hat man dich zu mir hier in die Zelle gesteckt? Kannst du mir das sagen, du Unschuld vom Lande?«
»Ein Irrtum! Wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Ich bin unschuldig, verdammt. Und ich werde auch nicht mehr lange hier bei dir bleiben. Darauf kannst du dich verlassen. In den nächsten Tagen schon holt man mich ab.«
Gina amüsierte sich weiter. »Wer hat dir den Traum denn geschickt?«
»Es ist die Wahrheit. Das hat mir mein Anwalt, Signor Corbucci, gesagt.«
»Oh… oh… Signora hat einen Anwalt. Toll, wirklich. Den kann sich nicht jeder leisten.«
»Ich brauche ihn auch nicht zu bezahlen.«
»Ha, bumst du mit ihm?«
»Nein, das tue ich nicht. Lucio Corbucci ist nichts anderes als ein Pflichtverteidiger. Alles andere entspricht nur deiner dreckigen Fantasie.«
»Oh, wie schamvoll. Das ist ja etwas ganz Neues hier im Knast. Aber das wird dir noch vergehen, sage ich dir.«
»Lass mich in Ruhe!«
»Nein!« Gina schob ihren Kopf vor wie ein hungriges Raubtier, das sich seinem Napf nähert. »Ich werde dich nicht in Ruhe lassen, meine Liebe. Erst dann, wenn ich alles weiß.« Sie blieb nicht mehr auf ihrem Bett hocken, sondern kroch näher, und ihr breiter Mund erinnerte an ein hungriges Maul. In ihren Augen leuchtete so etwas wie Gier, aber das konnte auch eine Täuschung sein.
Gabriela drückte sich zurück, bis sie fast die kalte Wand erreicht hatte. »Bleib mir vom Leib!«, flüsterte sie. »Geh wieder zurück. Verdammt, ich will…«
»Was du willst, Süße, das spielt keine Rolle. Hier habe ich das Sagen, verstehst du. Wir sind ganz allein. Eine Nacht lang. Und glaube mir, ich bekomme aus dir heraus, was ich hören will.«
Das glaubte Gabriela ihr aufs Wort. Eine wie Gina bluffte nicht. Die brachte ihren Willen immer durch.
Sie war durchtrieben und abgebrüht und kannte nur ihren Vorteil.
Noch näher schob sie sich heran. Es war düster in der Zelle, und Gabriela wünschte sich, dass es stockfinster war und sie das hässliche Gesicht nicht zu sehen brauchte. Sie sah das Funkeln der Augen und verglich es mit dem Ausdruck eines Raubtieres.
Gina streckte ihren rechten Arm aus. Dann legte sie die Hand auf Gabrielas Schulter. »Auch wenn du dich bemühst, du kommst hier nicht durch, verdammt. Ich habe hier das Sagen, und ich bin erst zufrieden, wenn ich alles weiß.«
»Ich habe dir alles gesagt!«
»Nein, das glaube ich nicht.« Auch weiterhin wurde Gabriela festgehalten. »Ich sehe dir doch an, dass du dich verstellst, verflucht! Dein harmloses Engelsgesicht täuscht. Dahinter steckt mehr, viel mehr. Ein weiblicher Teufel. Ein Dämon, der sich hinter einer naiven und schönen Larve versteckt.«
»Nein, bitte, du irrst dich!«
»Bestimmt nicht!« Mit einer schnellen Bewegung kletterte Gina auf das Bett und blieb dort knien. Da sich die Liegende zur Seite bis gegen die Wand gerollt hatte, war Platz genug für Gina.
Sie hockte dort wie ein Monster. Sie war so nah. Gabriela konnte die andere Person riechen. Es war ein für sie widerlicher Gestank, der ihr in die Nase drang. Er roch nach Knast, nach schlechter Seife, fast wie alte Lappen.
Gina schaute auf sie nieder. »Noch eine Chance!«, flüsterte sie mit rauer Stimme. »Ich will die Wahrheit von dir erfahren. Einfach nur die Wahrheit. Ich will endlich wissen, wer du bist. Wer du wirklich bist, verstehst du?«
»Geh weg!«
»Bestimmt nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe so lange, bis ich Bescheid weiß. Und du wirst deinen Mund aufmachen, das verspreche ich dir.«
Gabriela sagte nichts. Doch sie war sehr sensibel, und sie spürte den Hauch der Gewalt, der von dieser anderen Person auf sie zuströmte. Es war ein Ansturm, der ihr den Atem nahm und ihr die Kehle zudrückte. Sie merkte das körperliche Grauen, das an ihr entlangrann und eine Gänsehaut hinterließ.
Ihr Herz schlug schnell. Jeden Schlag hörte sie. Und sie wusste nicht, welche Wahrheit sie Gina sagen sollte, denn sie hatte alles gesagt, was sie
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