1288 - Das unheimliche Mädchen
wir. Wenig später hatte ich mich halb hoch gedrückt, und meine Füße wühlten durch den Schlamm. Ich hielt Gabriela auch weiterhin fest, als ich mich aufrichtete und mit dem Kopf die Wasseroberfläche durchstieß, dicht neben dem Boot.
Ich riss den Mund auf, schnappte nach Luft. Nicht so Gabriela. Sie hing reglos in meinem Griff, und ich hielt ihren Kopf über Wasser. Ihre Augen standen weit offen. Das Gesicht war mit allerlei Pflanzenresten bedeckt und schmutzig.
Verdammt, sie sah aus wie eine Tote! War alles umsonst gewesen?
Ich schlug einige Male gegen ihre Wangen. Dann sah ich das Zucken ihrer Augen. Ich hörte auch ein Stöhnen.
»Gabriela!«, schrie ich sie an.
Sogar eine Antwort erhielt ich. »Mir… mir ist so kalt…«
Ich musste lachen. Es war die Erlösung für uns beide. Noch nie hatte ich mich über den Wortlaut einer derartigen Antwort so gefreut wie in diesem Fall…
***
Der alte Kahn schaukelte zwar in unserer Nähe, doch die Mühe, in ihn hineinzuklettern, machte ich mir nicht. Das Wasser war wirklich nicht so tief. Man konnte es durchwaten. Zumindest ich, denn es reichte mir nicht über den Hals hinweg.
Ich sorgte dafür, dass der Kopf der jungen Frau immer über Wasser blieb, als ich mit ihr auf das Ufer zuwatete. Genau zu der Stelle hin, an der ich ins Boot gesprungen war.
Bereits nach wenigen Schritten verlor das Wasser seine Tiefe. Es flachte ab, und ich konnte mich mit meinem Schützling besser bewegen. Tropfnass erreichten wir den Uferbereich, und hier hob ich zum ersten Mal den Kopf an, denn mir waren Bewegungen aufgefallen.
Die Nonnen hatten das Kloster verlassen und hielten sich jetzt am Ufer auf. Sie blickten über den Teich hinweg und sahen zu, wie wir immer mehr auf sie zukamen.
Gabriela hatte sich wieder gefangen. Sie keuchte, sie spie noch Schmutzwasser aus, aber sie konnte schon gehen, auch wenn ich sie dabei unterstützen musste.
Wir durchbrachen das Gras, und dann streckten sich uns schon hilfreiche Hände entgegen, die mir Gabriela abnahmen und sie aufs Trockene zogen.
Ich ging allein, und sehr bald schon wühlten meine Füße keinen Schlamm mehr auf.
Keuchend blieb ich stehen. Die letzte Rettungsaktion war kein Spaß gewesen, aber das verdammte Feuer war durch das Feuer gelöscht worden. Manchmal muss man eben den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
»Bringt sie so schnell wie möglich ins Trockene«, bat ich und wrang mir dabei das Wasser aus den Haaren. Ich wischte mir auch über das Gesicht und ließ die Handflächen an der nassen Kleidung entlanggleiten.
Plötzlich stand die Köchin vor mir. Die anderen Nonnen waren schon mit Gabriela gegangen.
»Sie haben alles überstanden?«
»Ja, zum Glück.«
»Unsere Oberin auch.«
Jetzt kam sie mir wieder in den Sinn. Ich sah sie bildlich vor mir, wie sie brannte. »Hat sie…«
»Sie hat nur leichte Verletzungen davongetragen. Aber was ist mit dem Mädchen?«
Ich kratzte mir einen weichen Pflanzenrest von der Unterlippe weg. »Der Fluch ist gelöscht. Ich denke, dass von nun an ein normales Leben vor ihr liegt. Ich würde Sie dann bitten, dass Sie Gabriela dabei unterstützen.«
»Gern.« Sie zwinkerte mir zu. »Sie wissen ja, Nachwuchs brauchen wir immer…«
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 1193 »Das Templerkind«
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