1288 - Das unheimliche Mädchen
wusste.
Zwei Hände fuhren nach unten. Wie schwere Eisen legten sie sich auf Gabrielas Schultern und drückten sie gegen die sowieso schon harte Matratze.
»Du wirst reden, du wirst…«
»Nein!«
Das Gesicht über ihr verzerrte sich und schien in der grauen Dunkelheit zu zerfließen. Jetzt kam das Monstrum in ihr zum Vorschein, das sich bisher versteckt gehalten hatte. Gina schüttelte ihre Zellengenossin durch. »Du wirst reden!«, fauchte sie nach unten, sodass der warme Atem zu spüren war, der Gabriela auch widerlich vorkam. »Du willst tatsächlich nicht reden, du kleiner, hinterlistiger Engel? Du willst es nicht?«
»Ich habe alles gesagt!«
»Nein, das hast du nicht!«
Mit einer knappen Bewegung wuchtete Gina ihre Mitbewohnerin herum, sodass sie jetzt völlig auf dem Rücken lag und nicht mehr zur Seite gedreht war.
»Ich werde dich dazu bringen, dass du redest!«, keuchte Gina, die wie von Sinnen war. »Du kannst dich darauf verlassen. Du wirst mir alles sagen, alles.«
Die Worte waren so etwas wie eine Vorbereitung gewesen, denn jetzt griffen die Hände mit den langen und kräftigen Fingern richtig zu. Sie legten sich um die Kehle der jungen Frau, und schlagartig wurde Gabriela die Luft genommen.
In einem Reflex wollte sie aufspringen, das war jedoch nicht möglich. Der Druck dieses Klammergriffs hielt sie unten, und als Gabriela verzweifelt den Mund öffnete, bemerkte sie mit Schrecken, dass sie nicht mehr atmen konnte…
Für die 17-Jährige waren es schreckliche Momente. Die Augenblicke, in denen die Panik sie wie eine gewaltige Welle erfasste. Sie wusste nicht mehr, was sie noch tun sollte. Sie war auch nicht in der Lage, sich zu wehren. Der Druck der Hände war einfach zu stark. Er nagelte sie an der Matratze fest.
Sie bekam weder die Arme noch ihre Beine hoch. Sie spürte dann den Druck eines Knies in Magenhöhe, und das verschlimmerte ihren Zustand noch mehr.
Gina Pescaro musste in ihrer Psyche zerstört sein, denn so wie sie benahm sich kein Mensch. Zumindest kein gesunder.
Gina war zu einem menschlichen Monster geworden. Es konnte auch sein, dass ihr wahres Ich zum Vorschein gekommen war und nur auf einen derartigen Moment gewartet hatte.
An ein Luftholen war nicht mehr zu denken. Der Hals saß zu. Die ersten Schatten erschienen vor den Augen der Gewürgten, doch zugleich passierte etwas anderes mit ihr. In ihrem Innern brach etwas auf.
Hätte es einen Vulkan im Körper eines Menschen gegeben, so hätte dieser Vergleich gestimmt. Es brach etwas auf. Es kam mit einer wahnsinnigen Vehemenz aus ihr hervor. Es war der reine Aus- und Durchbruch, den sie erlebte. Plötzlich war Gabriela nicht mehr sie selbst. Sie hatte das Gefühl, weggerissen zu werden. Der Körper schwebte davon. Er machte sich selbstständig. Er jagte in irgendetwas hinein, wurde aufgefangen und ließ das zurück, das zurückbleiben sollte.
Eine irrsinnige Hitze war für sie zu spüren. Unsichtbare Flammen schossen durch den Körper und breiteten sich schnell aus.
Ein tierischer Schrei gellte durch die Zelle. Er war so schlimm, und schaurig, dass er mit Worten kaum zu beschreiben war. Ein Schrei, der alles veränderte, und auch einer, den nicht Gabriela, sondern Gina ausgestoßen hatte.
Wie durch einen Peitschenschlag getrieben, lösten sich die Hände von Gabrielas Kehle. Die Arme schnellten in die Höhe. Gina schüttelte ihre Hände, und sie konnte nicht begreifen, was mit ihnen geschah. Überall an den Fingern, von den Ansätzen bis hin zu den Nägeln huschten kleine Flammen darüber hinweg. Sie brannten lichterloh. Das Feuer umtanzte sie. Es spielte sein Spiel, und Gina, die ihre Arme hoch gehoben hatte, konnte nur auf die brennenden Finger starren. Das Feuer schuf auch Schatten, und dieses zuckende Spiel huschte über ihr Gesicht hinweg und hinterließen auf ihm einen grotesken Ausdruck.
Das Feuer breitete sich nicht aus. Es blieb an den Fingern hängen, die ihre normale Farbe bereits verloren hatten und jetzt aussahen wie dunkle Stummel.
Gina kniete noch immer auf dem Bett. Aber sie war nicht mehr in der Lage, etwas zu unternehmen. Ihr Körper bewegte sich zuckend, und diesen Rhythmus hatten auch die Hände übernommen.
Der Schrei war verstummt. Dennoch war es nicht still geworden, denn jetzt drang aus Ginas Mund ein jämmerliches Heulen. Da hätten Steine weich werden können. Grauenvoll hörte es sich an, und es drang immer lauter an Gabrielas Ohren, die allmählich aus ihrem Rausch erwachte und wieder
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