1288 - Das unheimliche Mädchen
war mein Schwung.
Ich hetzte um das Auto herum, um zu sehen, wohin Gabriela verschwunden war.
Vor mir lagen jetzt die Hänge, auf denen die Rebstöcke wie Soldaten ausgerichtet standen. Aus der Ferne sahen sie dicht aus. Ich befand mich in ihrer Nähe, und ich sah auch den schmalen Weg, der in den Hang hineinführte und dabei ziemlich steil nach oben ging.
Von Gabriela sah ich nichts mehr. Für mich konnte sie nur diesen einen Weg genommen haben, denn eine andere Möglichkeit gab es nicht. Ich hätte sie sonst sehen müssen. Ihr Vorsprung konnte einfach nicht so groß sein, und sie schaffte es auch nicht, sich in Luft aufzulösen.
Ich drehte mich wieder nach rechts, und der Blick glitt abermals den Weg hoch.
Die Bewegung konnte ich nicht übersehen. Zwar arbeiteten Menschen bei der Lese im Weinberg, aber sie schufteten weiter oben. Sie ernteten die Trauben von oben nach unten, und etwa auf halber Höhe entdeckte ich das Schaukeln der Trauben und sah auch die Bewegungen der Rebstöcke.
Das musste sie sein.
Gabriela Monti zu verlieren, wäre für mich fatal gewesen. Dabei dachte ich weniger an eine persönliche Niederlage, sondern daran, dass sie unter Umständen andere Menschen in Lebensgefahr brachte, denn sie konnte sich in ihrem Zustand nur schwerlich selbst kontrollieren. Sie hätte mich sogar umgebracht, wenn sich nicht mein Kreuz gegen sie gestellt hätte. Ich wollte auch nicht darüber nachdenken, ob ich den Griff aus eigener Kraft gesprengt hätte, das alles interessierte mich im Moment nicht.
Ich musste in den Weinberg hinein und sie stellen.
Mit langen Sätzen jagte ich den Weg in die Höhe. Zum Glück hatte ich mir die Stelle gemerkt, an der mir die Bewegung aufgefallen war. Leider war es mir nicht möglich, dort so einfach hinzulaufen. Ich hatte gegen die Tücke des Objekts zu kämpfen.
Der Boden war trocken, er war zudem steinig, und als ich mich ungefähr auf der gleichen Höhe befand, zuckte ich nach links und damit hinein in den Wald aus Rebstöcken.
Es war ein verdammt schwieriges Laufen. Ich konnte nicht vermeiden, dass ich einige Rebstöcke demolierte. Ich brach manchmal gewaltsam voran, hoffte, dass mir der Besitzer verzieh, und war froh, dass mich bisher noch niemand entdeckt hatte.
Die Menschen, die im Weinberg arbeiteten, hatten andere Sorgen. Es war nicht leicht, auf dem schrägen Hang zu laufen. Doch es gab keine andere Chance. Ich kämpfte mich weiter voran. Mit meinen Händen räumte ich die oft starren Hindernisse zur Seite. Manchmal schlugen die Bündel der Trauben gegen mein Gesicht.
Gabriela war weg!
Aber ich hatte trotzdem Hoffnung, denn vor mir bewegten sich die Rebstöcke nicht mehr. Für mich war es ein Zeichen, dass Gabriela nicht mehr vor mir floh.
Ich rief ihren Namen. Zuerst halb laut. Als ich keine Antwort bekam, noch etwas lauter. Auch jetzt meldete sie sich nicht, und ich blieb beim Rufen. Aber ich machte ihr auch klar, dass sie keine Angst zu haben brauchte.
»Wir müssen es doch gemeinsam schaffen!«, rief ich in den Wald aus Rebstöcken hinein.
Gabriela vertraute nur sich. Mir nicht. Keine Antwort. Ich lief nicht mehr weiter. Irgendwo musste sie sein. Es gab ideale Verstecke zwischen den Rebpflanzen. Da konnte ich tagelang suchen, ohne auch nur einen Zipfel von ihr zu finden.
Ich drehte mich zur Seite, als ich einen schmalen Querweg entdeckte, der wieder nach unten führte.
Von weiter oben hörte ich Stimmen. Die Rufe galten glücklicherweise nicht mir, denn mich hatte man noch nicht gesehen.
Es war stiller geworden, und ich hörte plötzlich ein bestimmtes Geräusch. Jemand weinte leise. »Gabriela…?«
Das Schluchzen blieb, und ich hatte mittlerweile festgestellt, woher es kam.
Der Weg war nicht breiter als eine Schneise. Ich schaute ihn hinab. Irgendwo dort musste sich Gabriela aufhalten. Als ich den Hang hinabstieg, mich immer wieder nach rechts und links umschaute, aber nur Trauben und Rebstöcke sah, erschien an der rechten Seite eine Gestalt, die mit beiden Händen Hindernisse zur Seite räumte und plötzlich in meiner Nähe auftauchte.
Es war Gabriela, und es ging ihr nicht gut. Sie schleppte sich weiter. Sie sah grau im Gesicht aus. Sie wirkte erschöpft und regelrecht ausgemergelt. Die Augen hatten einen schon erloschenen Blick bekommen, und sie war dann froh, sich in meine Arme fallen lassen zu können.
Sie hing an mir wie das Bündel Trauben am Rebstock. Ich sprach beruhigend auf sie ein, während ich das Zittern ihres Körpers spürte.
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