1288 - Das unheimliche Mädchen
erwürgen wollen. Das ist passiert, John, und ich kann dir nicht sagen, wieso es passierte.«
»Auch bei den anderen Fällen nicht?«
»Nein, es steckt in mir.«
Ich räusperte mir die Kehle frei. »Wie war das denn bei der Frau, deren Kinder du gerettet hast?«
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. »Das ist anders gewesen.«
»Griff sie dich auch an?«
»Sie hat mich geschlagen!«
»Oh, das wusste ich nicht.«
»Ja, sie hat mich geschlagen, bevor sie mich wegschickte. Ich wollte auf die Zwillinge aufpassen. Als sie es hörte, da drehte sie durch. Sie schlug mir grundlos ins Gesicht.«
»Was hast du dann getan?«
»Ich bin gegangen.«
»Und kehrtest später zurück!«
Gabriela drehte den Kopf nach links. »Ja, ich bin zurückgekehrt, das musste ich doch.«
»Warum?«
Gabriela senkte den Kopf. »Etwas zwang mich. Es war wie eine innere Stimme, die mich voranpeitschte. Ich konnte nicht allein bleiben. Ich musste einfach wieder zu ihr.«
»Und wie hat sich das genau abgespielt? Was ist geschehen?«
»Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Plötzlich fand ich mich vor dem Haus wieder. Es brannte. Ich musste hinein, und ich habe die beiden Jungen gerettet.«
»Aber du weißt nicht, wer das verdammte Feuer gelegt hat?«
»Nein!«
»Hast du dabei nie über dich selbst nachgedacht?«
»Ich tat es nicht bewusst. Ich will niemand bewusst umbringen oder verletzten. Aber manchmal geht es wohl nicht anders«, flüsterte sie und senkte den Kopf. »Das ist eben so, John. Manchmal geht es nicht anders. Da ist dann jemand, der mir einen Befehl gibt. Tief in meinem Innern spüre ich ihn sehr deutlich.«
»Hast du darüber nachgedacht, wer das sein könnte?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber es geht um das Feuer - oder? Immer wieder darum.«
»Ja.«
»Dann würde ich gern erfahren, welche Verbindung es zwischen dir und dem Feuer gibt. Mir würde so etwas nicht passieren. Ich könnte keine Flammen entstehen lassen, doch dir ist das gelungen, und dafür muss es einen Grund geben.«
»Weiß nicht.«
Die Antwort hatte mir etwas verstockt geklungen. Ich schätzte sie nicht als ganz ehrlich sein.
»Hast du nie darüber nachgedacht?«
Sie hob die Schultern. Jetzt, wo wir einmal sprachen, wollte ich nicht stoppen. »Bitte, Gabriela, da muss etwas sein. Nichts passiert ohne Grund. Kann es sein, dass der Grund im Tod deiner Eltern liegt…«
»Sie sind verunglückt.«
»Verbrannt, hörte ich.«
»Auch das.«
»Wie ist es passiert?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es nie herausgefunden, und man hat mich auch nicht informiert.« Sie räusperte sich. »Ich kam danach in ein Heim, weil ich noch so jung war. Und da habe ich diese verdammten Mauern hassen gelernt. Heime, Klöster, Gefängnisse, ich kann sie nicht ausstehen. Sie sind irgendwie alle gleich.«
»Nein, so darfst du nicht denken«, widersprach ich. »Es gibt schon Unterschiede.«
Wütend schaute sie mich an. »Nicht für mich, John. Ich kann es nicht leiden, gefangen zu sein. Das musst du doch begreifen.«
»Stimmt. Niemand möchte gefangen sein. Aber das Kloster ist kein Gefängnis.«
»Was soll ich denn dort?«
»Ruhe finden.«
»Ruhe?«, höhnte sie. »Vor wem denn? Die Ruhe ist dann wie im Gefängnis die Zeit der Nacht. Nur eben, dass sie mich dann auch am Tag erwartet. Ich weiß, weshalb ich in das Kloster soll.«
»Da bin ich gespannt.«
»Ihr wollt mich aus dem Verkehr haben. Ich soll für immer hinter den dicken Mauern verschwinden. Von einem Knast in den anderen kommen. Das ist es, was ihr euch vorgestellt habt. Keiner soll mehr den Weg zu mir finden. So sehe ich das.«
»Es ist aber falsch.«
»Nein, verdammt!« Sie wurde wütend, und sie starrte mich mit einem Blick an, der sehr zornig war.
»Und du, John, du gehörst auch zu ihnen. Du hast dich mit diesen Leuten zusammengetan. Sie haben dich sogar aus einem anderen Land geholt. Sie selbst wurden nicht mehr fertig mit mir. Da musste ein Spezialist ran. Und du bist einer, das habe ich genau gespürt, als wir uns die Hand gaben. Da war plötzlich der Funke da. Wie ein kleiner elektrischer Bogen. Ich habe gespürt, dass du anders bist. Man hat dich nicht grundlos geholt. Du steckst mit ihnen unter einer Decke. Es fing mit Corbucci an…«
»Der dir geholfen hat.«
Sie lachte nur.
»Ja, er hat dir geholfen, Gabriela. Ohne sein Eingreifen wärst du nicht hier. Dann hätten dich die Mauern des Gefängnisses auch weiterhin verschluckt. Nicht zuletzt musst du ihm dankbar sein. Zudem willst du
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